Irak-Krieg: Die Medien-Lüge von Tony Blairs Kriegslüge

John Chilcot bei der Präsentation des Irak-Untersuchungsberichts

Von David Kirsch

Pünktlich zur Veröffentlichung des Untersuchungsberichts über die britische Beteiligung am Irakkrieg, häufen sich in österreichischen Tageszeitungen mangelhafte Berichte über die alliierte Invasion des Irak 2003, welche Ex-Premierminister Tony Blair die bewusste Verbreitung von Kriegslügen unterstellen.

Der sogenannte „Chilcot-Bericht“ ist das Ergebnis einer unabhängigen Regierungskommission unter der Leitung des früheren Spitzenbeamten John Chilcot, dessen Untersuchungen vergangenen Mittwoch der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Zu den Mitgliedern des Gremiums gehörten vor allem Sozialwissenschaftler und Angehörige im Irak verstorbener britischer Soldaten – jedoch keine Juristen, die über eine mögliche Illegalität des Sturzes des Hussein-Regimes urteilen könnten, weswegen sich der Bericht auch einer diesbezüglichen Einschätzung entschlägt. Jedoch hält er, wie der Standard schreibt, fest dass die britische Besetzung 2009 „mit einer Demütigung geendet“ und Großbritannien keines seiner Ziele erreicht habe.

Während Noch-Premier David Cameron eine sorgfältige Prüfung der Ergebnisse des Chilcot-Berichts im englischen Parlament ankündigte, steht das Urteil für österreichische Journalisten bereits fest – vor allem das über den Ex-Premierminister Tony Blair. So attestiert der für den Standard aus London berichtende Korrespondent Sebastian Borger, dass Blair den USA in „bedingungsloser Gefolgschaft“ in den Krieg gefolgt sei. Und Gudrun Harrer macht in einem am Donnerstag erschienenen Kommentar über den Chilcot-Bericht Tony Blairs Beteiligung am Sturz Saddam Husseins zu einer Frage des Charakters:

„Er war nicht Bushs Pudel, sondern sein treuester Soldat. Es wird Leute geben, die dieser Charaktereigenschaft etwas abgewinnen können. Als Regierungschef, der Kriegsentscheidungen trifft, wünscht man sich so eine Person nicht.“

Lüge oder Fehleinschätzung?

Gleichzeitig wird Harrer nicht müde, das Narrativ einer angeblichen Irak-Kriegs-Lüge zu pflegen und von „konstruierte[n] Vorwürfe[n]“ sowie „gefälschte[n] ‚Beweise[n]‘“ gegen Saddam Husseins Regime zu sprechen. Die Figur von der Lüge nimmt auch der ORF-Reporter Thomas Hois auf, der in der ZiB24 ganz ähnlich wie Harrer argumentiert.

„Blairs Lügen hätten viele Menschenleben gekostet – dieser Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Er wird gestützt von den Recherchen der sogenannten Irak-Kommission. Ihr Urteil ist vernichtend: Die britische Regierung, die Geheimdienste, das Militär hätten versagt. (…) Die Gefahr durch Saddams Massenvernichtungswaffen: eine Lüge, wie sich nachher herausstellt.“

Wie Harrer und Hois von einer bewussten Lüge über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen sprechen können, ist mit Blick auf den Chilcot-Bericht jedoch nicht nachvollziehbar. (Siehe dazu auch den Leserbrief an Thomas Hois von Mena Watch.) Dem Diplomaten John Chilcot ging es nämlich keineswegs, wie Harrer und Hois suggieren, um ein Existentialurteil über die britische Beteiligung am Irak-Krieg, sondern lediglich darum, aus der Geschichte „Lehren (zu) ziehen“, wie Peter Nonnenmacher in der Kleinen Zeitung vom 7. Juli notiert. Zudem spricht der Chilcot-Bericht, wie Eli Lake auf BloombergView treffend analysiert, nicht von Lügen oder bewussten Unwahrheiten, sondern lediglich von Fehlern Tony Blairs:

 „The closest Chilcot comes to criticizing Blair’s use of the intelligence produced by his government is that he at times didn’t express the full nuance and uncertainty contained in those reports. But Blair’s statements about Iraq’s chemical, biological and nuclear weapons programs were consistent with what the professional analysts, spies and military officers were telling him.“

 So stellt der Untersuchungsbericht klar, dass die Entscheidung Großbritanniens an der Invasion des Irak teilzunehmen, eben nicht auf „konstruierten Vorwürfen“ (Harrer) beruhte, sondern – wie Lake den Leiter der Untersuchungskommission zitiert – auf der Basis ungesicheter Informationen getroffen wurde, die genauer zu überprüfen gewesen wären:

„‚It is now clear that policy on Iraq was made on the basis of flawed intelligence and assessments,‘ Chilcot said in a statement. ‚They were not challenged and they should have been.‘“

Wenn Gudrun Harrer von „gefälschte[n] ‚Beweisen’“ spricht, dann kann sie sich dabei also nicht auf den Chilcot-Bericht stützen. Dieser zweifelt nämlich nicht daran, dass Tony Blair sich in seiner Entscheidung, Saddam Husseins Sturz zu unterstützen, auf eine Vielzahl von amerikanischen, britischen und deutschen Geheimdienstinformationen berufen konnte. Die überwiegende Mehrheit dieser Sicherheitsdienste war nach damaligem Wissensstand der Ansicht, Saddam Hussein arbeite an der Entwicklung eines biologischen, chemischen und sogar nuklearen Massenvernichtungsprogramms. Dessen ungeachtet gehört es aber offensichtlich immer noch zu den Gepflogenheiten österreichischer Nahost-Berichterstattung, Tony Blair und der Bush-Administration der bewussten Irreführung und des Konstruierens von Kriegslügen zu bezichtigen – und alle diesem Bild widersprechenden Fakten unter den Tisch fallen zu lassen. (Siehe dazu etwa den Leserbrief von Mena Watch aus dem Jahr 2013 oder die Analyse aus dem Jahr 2014.)

Mit Saddam Hussein kein islamistischer Terror?

Während die im Rahmen des Chilcot-Berichts durchgeführten Untersuchungen länger andauerten als das britische Engagement im Irak selbst, ist der Irak nach wie vor durch konfessionellen islamistischen Terror und mörderische Instabilität geprägt. Die Ursachen dafür sucht man in österreichischen Medien mit großer Vorliebe alleine im Sturz Saddam Husseins. So schreibt Gudrun Harrer:

 „Die Existenz des IS ist einer der unvorhergesehenen direkten Folgen von 2003. Der Jihadismus bekam gleich zwei Daseinsberechtigungen: Die Präsenz der fremden  Invasoren sowie – nachhaltiger – den politischen Aufstieg der Schia im Irak und den Aufschwung des von seinem Erzfeind Saddam Hussein befre
iten Iran.“

So richtig es ist, die mangelnde Vorbereitung auf die Nachkriegszeit sowie die unzulängliche Einschätzung der langfristigen globalen Folgen des Sturzes von Saddam Hussein hervorzuheben, so falsch ist die Vorstellung, der Jihadismus des heutigen Islamischen Staates wäre lediglich durch den Einmarsch der alliierten Truppen entstanden.

al-Duri
Saddam Hussein und Izzat ad-Dour

Wie Kyle Orton in einem im Dezember 2015 erschienen New York Times-Artikel dargelegt hat, schuf Saddam Hussein selbst die Grundlagen für den Islamischen Staat – und das lange vor dem Einmarsch alliierter Truppen in den Irak: Nach dem Einmarsch irakischer Truppen in den Iran 1980 schloss Saddam Hussein mehrere Bündnisse mit arabisch-islamistischen Gruppierungen, um seinen damaligen Erzrivalen, das syrische Regime zu destabilisieren. Dadurch änderte sich auch die grundsätzliche Ausrichtung von Saddam Husseins Baath-Partei: Der ursprüngliche – immer schon oberflächliche und fadenscheinige – Säkularismus  wich einer offenen Islamisierung der Geheimdienste und Parteikader. Diese im Juni 1993 in Gang gesetzte „Faith-Campaign“, machte Saddam Husseins engsten Vertrauen Izzat ad-Douri zum Führer des „baathistischen Salafismus“ (Orton). Nach der Irak-Invasion 2003 floh ad-Douri nach Syrien und bekam Asyl von Bashar Al-Assad. 2014 kehrte er im Rahmen des im Irak ausgebrochenen Bürgerkriegs zurück nach Tikrit – in den Reihen des Islamischen Staates.

Sowohl Saddam Hussein als auch das Assad-Regime sind demnach als Komplizen und aktive Wegbereiter des jihadistischen Terrors und nicht als Gegenspieler einer Islamisierung des Nahen Ostens zu charakterisieren, wie es in hiesigen Medien immer noch gängige Praxis ist. Wie Richard Herzinger in der Welt schreibt:

„Die Vorstellung, die Verhältnisse wären heute stabiler und friedlicher, hätte man Despoten wie Saddam weitermachen lassen, ist abwegig. Tatsächlich haben diese selbst über Jahrzehnte alle Grundlagen ziviler, humaner Ordnung systematisch zerstört. Sie waren es auch, die den dschihadistischen Terrorismus gezüchtet haben, um ihn für ihre Zwecke einzusetzen. Die Vernichtung der gemäßigten, reformerischen Opposition in Syrien im Zusammenspiel von Assad-Regime und IS zeigt, dass diese Methode bis heute funktioniert.“

Mit der Vorstellung, dass ohne den Sturz Saddam Hussein der Aufstieg des islamistischen Terrors nicht stattgefunden hätte, sind österreichische Journalisten allerdings nicht ganz alleine. So lobte auch der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald J. Trump den irakischen Diktator erst kürzlich als „terrorist killer“: Ganz so, als bestünden die Grundlagen für die heutige Tragödie im Sturz des Massenmörders Saddam Hussein und nicht etwa in der jahrelangen Destabilisierung und Vernichtung, welche Despoten wie er jahrelang unbehindert vorantreiben konnten – und in der Gestalt Bashar al-Assads immer noch vorantreiben können.

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