Saudi-Arabien und der 11. September: Obamas schmutziges Manöver

World Trade Center. Quelle: Michael Foran/Wikimedia commons

Hatte Saudi Arabien etwas mit den Anschlägen vom 11. September zu tun? Anlässlich des Staatsbesuchs von Barack Obama im Königreich in der vergangenen Woche wurde diese Frage wieder einmal breit diskutiert.

Im Zentrum der Debatte standen bis heute geheim gehaltene 28 Seiten aus dem Bericht der 9/11-Untersuchungskommission, in denen, wie jetzt „durchgesickert“ sei, „hochgradig pikante Details“ zu finden sein sollen. So etwa Belege dafür, dass „die Regierung Saudi-Arabiens und wohlhabende Persönlichkeiten des Landes“ an der Vorbereitung der Terrorattentate beteiligt gewesen waren. „Saudis halfen bei 9/11-Anschlägen“ war dementsprechend in der Kronen Zeitung zu lesen (20. April 2016). Dass diese Diskussion jetzt hochkochte, dürfte allerdings weniger mit neu aufgetauchten Informationen zu tun haben, als mit politischen Manövern der Obama-Administration.


Saudische Verantwortung für 9/11?

Auf den ersten Blick scheint es, als lasse sich die Frage nach einer saudischen Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September leicht beantworten: 15 der insgesamt 19 Attentäter waren Bürger Saudi-Arabiens und das Terrornetzwerk al-Qaida wurde vom gebürtigen Saudi Osama bin Laden geleitet.

Sollte in den USA ein Gesetz in Kraft treten, das es den Angehörigen von 9/11-Opfern ermöglichen würde, die saudische Regierung wegen einer Beteiligung an den Anschlägen vor amerikanische Gerichte zu bringen, drohte Riad mit einem massiven Kapitalabzug in der Höhe von bis zu 750 Milliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten. Und dann sind da noch die geheimen 28 Seiten des 9/11-Berichts, um deren Veröffentlichung seit Jahren gerungen wird. All das, so raunte unlängst etwa der ehemalige britische Abgeordnete George Galloway im iranischen Propagandasender PressTV, belege die saudische Verantwortung für „viele Verbrechen gegen die Menschheit“.


Todfeinde

Doch wie so oft, erweist sich der erste Blick auch in diesem Fall als trügerisch: Tatsächlich waren 15 der 9/11-Attentärer Saudis, aber sie waren keineswegs Befürworter des saudischen Königshauses, sondern vielmehr dessen vehemente Gegner. Und ja, auch Osama bin Laden war gebürtiger Saudi-Araber – aber ein deklarierter Todfeind des Königreichs, das ihm bereits 1994, siebeneinhalb Jahre vor 9/11, die Staatsbürgerschaft entzogen und sein Vermögen beschlagnahmt hatte.

Auch die saudischen Drohungen bezüglich möglicher Gerichtsverfahren in den USA müssen nicht Ausdruck schlechten Gewissens sein und als Eingeständnis von Schuld bewertet werden. Kein Land der Welt sieht sich oder seine Bürger gerne vor ausländische Gerichte gezerrt. Nicht zuletzt aus Furcht davor, dass ein ähnliches Schicksal auch amerikanische Staatsbürger im Ausland ereilen könnte, versucht die US-Regierung alles in ihrer Macht stehende, um den entsprechenden Gesetzesentwurf zu blockieren – sehr zum Ärger der Familien der 9/11-Opfer. Die New York Times berichtete: „In their view, the Obama-Administration has consistently sided with the kingdom and has thwarted their efforts to learn what they believe to be the truth about the role some Saudi officials played in the terrorist plot.”

Was aber hat es mit den geheimen 28 Seiten des Untersuchungsberichts zu den Anschlägen von New York und Washington auf sich?

911-Report


Was ist im 9/11-Bericht über Saudi-Arabien zu lesen?

Anders als oft suggeriert, wird die Rolle, die Saudi-Arabien bei der Verbreitung des Islamismus und der Entstehung des trans-nationalen Terrornetzwerkes al-Qaida gespielt hat, im Bericht der 9/11-Kommission keineswegs verschwiegen. So ist darin zu lesen, wie Saudi-Arabien in den 1980er-Jahren seinen Ölreichtum dazu benutzte, in Konkurrenz zum schiitischen Iran seine „fundamentalistische Interpretation des Islam, den Wahhabismus“ zu verbreiten:

„The Saudi government … joined with wealthy Arabs from the Kingdom and other states bordering the Persian Gulf in donating money to build mosques and religious schools that could preach and teach their interpretation of Islamic doctrine.“

Zu den religiösen Indoktrinationsversuchen gesellte sich die Unterstützung islamistischer Kämpfer in Afghanistan, vor allem durch Spender aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten.

„Donations flowed through charities or other nongovernmental organizations (NGOs). Bin Ladin and the ‚Afghan Arabs‘ drew largely on funds raised by this network, whose agents roamed the world markets to buy arms and supplies for the mujahideen”.

Mochten Saudi-Arabien (bzw. die von diesem unterstützten Gruppen) und die Dschihadisten in Afghanistan noch Seite an Seite gekämpft haben, so verschlechterte sich das Verhältnis in den 1990er-Jahren zusehends. Der endgültige Bruch kam, als das Königreich der US-Allianz zur Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung beitrat. Besonders nach der Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien griffen bin Laden und andere islamistische Kleriker das Königshaus scharf an. Dieses trieb seine Widersacher ins Exil und ging auch gegen bin Laden vor, der das Land 1991 verließ. Drei Jahre später folgte der bereits erwähnte Entzug seiner Staatsbürgerschaft.

Anstatt, wie vielfach unterstellt, al-Qaida unterstützt zu haben, wurde das saudische Königreich zum Ziel des dschihadistischen Terrors. Der erste Anschlag ereignete sich im November 1995, als eine Autobombe vor einer Einrichtung der Saudischen Nationalgarde explodierte.

Saudi National Guard
Nach dem Anschlag auf die Saudische Nationalgarde

Über die Jahre verstärkte das saudische Regime seine Anstrengungen zur Bekämpfung von al-Qaida. Dies beinhaltete die Zerschlagung von Terrorzellen im eigenen Land ebenso wie den (erfolglosen) Versuch, Druck auf die Taliban sowie deren Schutzmacht Pakistan auszuüben, um eine Auslieferung bin Ladens zu erzwingen. Mehrfach wurde dem saudischen Königshaus von den USA Dank für die Kooperation im Kampf gegen den Terror ausgesprochen (wenngleich manche Ansuchen der Amerikaner – etwa nach Zugang zu in Saudi-Arabien inhaftierten al-Qaida-Mitgliedern – abgelehnt wurden).

Zusammenfassend ist in dem Untersuchungsbericht zu lesen:

„It does not appear that any government other than the Taliban financially supported al Qaeda before 9/11, although some governments may have contained al Qaeda sympathizers who turned a blind eye to al Qaeda’s fundraising activities. Saudi Arabia has long been considered the primary source of a
l Qaeda funding, but we have found no evidence that the Saudi government as an institution or senior Saudi officials individually funded the organization. (This conclusion does not exclude the likelihood that charities with significant Saudi government sponsorship diverted funds to al Qaeda.) Still, al Qaeda found fertile fund-raising ground in Saudi Arabia, where extreme religious views are common and charitable giving was both essential to the culture and subject to very limited oversight.“

Dem ist noch hinzuzufügen, dass die saudischen Behörden nach 9/11 gegen die erwähnten Stiftungen vorgingen, von denen Gelder an al-Qaida geflossen waren. Wie sich herausstellte, waren viele der Unterstützer bin Ladens gleichzeitig auch Förderer verschiedener Organisationen der Muslimbrüder. Der Terrorismusforscher Matthew Levitt hielt fest:

„Not surprisingly, many of the charities and NGOs tied to al-Qaeda in investigations spawned by the September 11th attacks have significant ties to the Muslim Brotherhood. By looking into this Brotherhood connection, investigators have found that many al-Qaeda fronts and cells have also funded Hamas.”

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Saudi-Arabien trägt in mancherlei Hinsicht, nicht zuletzt durch die forcierte Verbreitung seines rigiden Islamverständnisses, zumindest eine Mitverantwortung für das ideologische Klima, in dem dschihadistische Organisationen wie al-Qaida heranwachsen konnten. Der vom saudischen Regime verbreitete Wahhabismus ist eine extrem intolerante Ideologie, die der Diskriminierung Andersgläubiger Vorschub leistet und fundamentale Menschenrechte mit Füßen tritt. Insbesondere die rigide Geschlechtertrennung und die Unterdrückung der Frauen sind anhaltende Skandale, an denen es nichts zu beschönigen gibt. Aber der Vorwurf, das Königreich stecke hinter den Anschlägen vom 11. September, ist dem Bericht der offiziellen Untersuchungskommission zufolge unhaltbar.


Was steht in den unter Verschluss gehaltenen Seiten?

Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters des National Security Councils unter George W. Bush zufolge, der die bislang geheimen 28 Seiten gelesen hat, ist darin nichts zu finden, dass dem Urteil der 9/11-Kommission widersprechen würde: Nichts deute darauf hin, dass die saudische Regierung hinter den Anschlägen von New York und Washington gestanden hat. Der Grund für die Geheimhaltung seien nicht „hochgradig pikante Details“ über das saudische Herrscherhaus, wie die Kronen Zeitung behauptete, sondern das Bemühen um eine Geheimhaltung von Quellen und Methoden geheimdienstlicher Arbeit.

Wie Lee Smith schreibt, sei es vor allem der damalige FBI-Chef Robert Mueller gewesen, der auf eine Geheimhaltung gedrängt habe:

„His chief concern would have been to protect our ability to collect intelligence on terror suspects in the United States as well as on foreign intelligence services. … The 28 pages seem to be about American agencies spying on Middle Eastern services, who are spying on their own people [in the United States].“

Unterstützung erhielt Mueller von höchster Stelle: Präsident Bush erklärte Ende Juli 2003, eine Veröffentlichung der 28 Seiten „would make it harder for us to win the war on terror. It would help our enemy if they knew our sources and methods.“

Bush - Saud al-Faisal
Saud al-Faisal und George W. Bush

Diejenigen, die jetzt über Inhalte der geheimen Seiten spekulieren, die das saudische Königshaus kompromittieren könnten, lassen stets ein nicht unbedeutendes Faktum unter den Tisch fallen: Wie die New York Times 2003 berichtete, war es der damalige saudische Außenminister, Saud al-Faisal, der die Bush-Administration zur Veröffentlichung des geheimen Dossiers drängte – nur auf diesem Wege, so die Erklärung der Saudis, könnten die falschen Anschuldigungen über Saudi-Arabien ausgeräumt werden.


Dirty Campaigning

Genau dieselben Anschuldigungen machten in der vergangenen Woche erneut die Runde. Glaubt man Lee Smith, sei dafür nicht das Auftauchen neuer Informationen verantwortlich, sondern ein politisches Manöver Obamas: Um wegen der eigenen Iran-Politik, die von allen Alliierten der USA im Nahen Osten – darunter auch Saudi-Arabien – kritisiert wird, nicht in die Defensive zu geraten, habe die US-Administration kurz vor der jüngsten Saudi-Arabien-Reise des Präsidenten die Spekulationen über die geheimen 28 Seiten befeuert, die sie längst hätte veröffentlichen können, wenn es ihr um eine Aufklärung der diesbezüglichen Fragen gegangen wäre:

„In painting the Saudis as terrorists, the White House changes the subject from the Iranian aggression facilitated and encouraged by Obama’s misbegotten deal with Tehran. As in a political campaign, the White House is finding it increasingly difficult to make positive case for its candidate, Iran. So it resorts to driving up the negatives of Saudi Arabia.“

Neu wäre eine derartige Form des „dirty campaigning“ seitens der Obama-Administration nicht. Denn genau derselben Methode bediente sie sich bereits im vergangenen Jahr, als es ihr darum ging, der israelischen Kritik am Atomabkommen mit dem Iran den Wind aus den Segeln zu nehmen. Anstatt sich in einer offenen Debatte mit den Einwänden des israelischen Premiers auseinanderzusetzen, inszenierte das Weiße Haus ein öffentliches Zerwürfnis mit Netanjahu, dessen Rede vor dem Kongress eine „Beleidigung“ und „Brüskierung“ Obamas gewesen sein soll.

Wie damals Netanjahu zum Buhmann gemacht wurde, um Kritik an der Iran-Politik Obamas den Raum zu nehmen, so wurden jetzt Gerüchte über eine saudische Komplizenschaft bei 9/11 lanciert, um die Kritik nicht nur Saudi-Arabiens an der Nahost-Politik der Obama-Administration aus den Schlagzeilen zu bekommen. Damals wie heute erfüllte ein Großteil der Medien die ihnen in diesen Manövern zugedachte Rolle zur Zufriedenheit des Präsidenten.

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