Mit dem „Gott des Dialogs“ gegen israelische Metalldetektoren

Eigentlich habe ich mir vor fast zehn Jahren selbst versprochen, Kommentare in deutschen Zeitungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt fortan zu ignorieren, nachdem sie mich zuvor jahrelang jedes Mal in Rage gebracht haben. Denn vor zehn Jahren, da traf ich im Irak per Zufall einen Journalisten, der für eine nordwestdeutsche Zeitung arbeitete und mir ein kleines Betriebsgeheimnis verriet: Da bei seiner Zeitung schon seit langem niemand mehr diese Dinger, in denen notwendigerweise die Worte „Gewaltspirale“, „Flächenbrand“, „Auge um Auge“ und „David versus Goliath“ vorkommen müssten, freiwillig schreiben wollte, ja alle vom Thema völlig angenervt seien, würde die Redaktion sie als eine Art Strafe verhängen. Wer Mist gebaut habe, der würde zum nächsten Nahostkommentar verdonnert.

Beim Tagesspiegel in Berlin scheint es dagegen anders zu sein. Der jüngste Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff nämlich liest sich ganz so, als wäre er ganz freiwillig und im Affekt geschrieben. Und in drei kurzen Absätzen schafft es der Autor so gut wie jedes Vorurteil und Stereotyp loszuwerden, die diese ganze Berichterstattung seit Dekaden dominieren. Also breche ich kurz das mir selbt gegebene Versprechen. Casdorff beginnt:

 „Tödliche Schüsse palästinensischer Angreifer auf israelische Soldaten vor zehn Tagen – und seither ist der Nahe Osten in Aufruhr. Einmal mehr geht es um den Jerusalemer Tempelberg, der Muslimen wie Juden heilig ist. Fünf Israelis sind gestorben, fünf Palästinenser, hunderte Menschen wurden verletzt.“

Der Nahe Osten ist seit mindestens sechs Jahren in Aufruhr. Und nicht wegen des Tempelbergs: Millionen Flüchtlinge, zerstörte Städte, Stellvertreterkriege in der ganzen Region. Aber natürlich zählt all das nicht. Die Aussage ist sogar faktisch falsch, denn so wirklich kräht außerhalb Israels und der palästinensischen Gebiete, abgesehen von ein paar Journalisten, ein paar hundert Demonstranten in Jordanien und der Türkei sowie dem Chef der komatösen arabischen Liga, kein einziger Hahn im Nahen Osten wegen der jüngsten Ereignisse. Die Leute haben ganz andere, weit existenziellere Probleme. Ok, ein arabischer Knessetabgeordneter drohte, die ganze arabische Welt würde sich geschlossen gegen Israel erheben, entfernte es nicht umgehend die Detektoren, aber das ist, man weiß es aus Erfahrung, bestenfalls Ausdruck von Wunschdenken.

Mit dem „Gott des Dialogs“ gegen israelische Metalldetektoren
Beim Angriff in Jerusalem ermordete Polizisten

Geht es aber um Israel, dann mutieren islamistische Terroristen zu „palästinensischen Angreifern“, die – die Sprachwahl suggeriert es – irgendein legitimes Ziel verfolgen. War der Attentäter auf dem Breitscheidplatz dann auch ein „tunesischer Angreifer“?

Richtig, die Terroristen kamen ums Leben, ihre Opfer auch. Fünf zu Fünf … so ist das halluzinierte „Auge-um-Auge“ Prinzip eben beschaffen, das jedes Mal in Anschlag gebracht wird, wenn es um Israel geht. Mehr noch: Eigentlich sind es ja die Israelis, die so etwas provozieren, weil sie eine heimliche Agenda verfolgen – bei Al Jazeera sind sie wenigstens deutlich und sprechen von „ethnischer Säuberung“. So weit mag man dann doch in Berlin nicht gehen und fabuliert vom Dominanzanspruch, nicht aber bevor man in, bei Politik und Medien so beliebten, Sozialarbeiterjargon verfällt und von „politischen Verletzungen“ schreibt; ganz so als sei es bei dem Attentat auf die drusischen israelischen Polizisten (und nicht Soldaten, wie Casdorff fälschlich behauptet) nicht konkret um Menschenleben und Mord gegangen:

„Die gegenseitigen Reaktionen sind scharf; als könnte weitere Schärfe politische Verletzungen heilen! Metalldetektoren und Überwachungskameras, die Israel anbringt, sind da auch ein sichtbar gemachter Dominanzanspruch: Seht her, wir bestimmen, was an dieser Stätte geschieht. Dass hier eine ‚rote Linie‘ ist, wie der Generalsekretär der Arabischen Liga sagt; dass Israel die muslimische Welt provoziert – das weiß die israelische Regierung aber selbst.“

Der Generalsekretär der Arabischen Liga als Kronzeuge! Und der darf dann auch noch für die ganze muslimische Welt reden. Die Arabische Liga, die sich seit Jahren nicht mehr getroffen hat und deren Mitglieder sich so spinnefeind sind, dass sie sich gegenseitig mit Boykotten und Stellvertreterkriegen überziehen: Ausgerechnet diese Lachnummer wird nun in den Zeugenstand berufen um dann, wie sollte es anders sein, ganz tiefschürfend und philosophisch zu werden:

„Deeskalation wäre nötiger denn je. Denn wird diese Spirale der Gewalt nicht schnell gestoppt, rast die nächste Intifada auf den Nahen Osten zu. Da wünscht man sich doch inständig, dass wir Menschen endlich klüger und friedfertiger werden. Wenn es einen Gott gibt, dann ist er einer des Dialogs.“

Mit dem „Gott des Dialogs“ gegen israelische Metalldetektoren„Spirale der Gewalt“. Uff, das wollte untergebracht sein. Und mit „wir Menschen“ sind natürlich die Juden in Israel gemeint, die doch bitte endlich auf die klugen Ratschläge deutscher Kommentatoren hören sollen und endlich friedfertig werden. Denn sollte Israel weiter die muslimische Welt mit Metalldetektoren provozieren, ist es für die nächste Intifada (wieder einmal) selbst verantwortlich.

Und zu guter Letzt, da sich das ganze ja im Heiligen Land abspielt, muss Gott irgendwie auch noch kurz auf die Bühne gezerrt werden. Der Gott des Dialoges! Wer nur könnte das sein? Allah ganz sicher nicht. Jahwe dürfte wohl auch nicht gemeint sein und auch der christliche Gott hatte es nie so mit Dialogen. Wie müsste man sich diesen Gott dann vorstellen? Wie den deutschen Bundespräsidenten mit Rauschebart? Vermutlich genau so. Und damit hätte man dann das passende Bild zum intellektuellen Niveau des Stephan-Andreas Casdorff.

Schließlich klangen die jüngste Stellungnahme aus dem deutschen Außenamt dann auch ganz genau so als hätte der Gott des Dialoges sie diktiert:

„Wir rufen alle Seiten auf, ihren Beitrag zu leisten, die Situation zu de-eskalieren, und nicht denjenigen das Wort zu überlassen, die zur Gewalt aufrufen oder diese in Kauf nehmen.

Es ist dringend nötig, Gesprächskanäle nicht abreißen zu lassen und den Parteien Raum zu geben, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, die – unter Wahrung des Status Quo am Tempelberg/Haram al-Sharif – den Sicherheitsbedürfnissen aller Seiten und der Bedeutung der heiligen Stätten für die drei monotheistischen Religionen Rechnung trägt.“

Denn: „Gewalt gegen Menschen ist durch nichts zu rechtfertigen.“ So kann nur ein Gott sprechen, nicht der Vertreter eines Staates, der für sich immerhin das Gewaltmonopol beansprucht und Soldaten ins Ausland schickt, deren Job eben hin und wieder auch darin besteht Taliban, nein, „afghanische Angreifer“, kalt zu stellen, notfalls letal.

UPDATE: In einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts wurde Monatgabend beschlossen, die Metalldetektoren abzumontieren und durch andere Sicherheitsmaßnahmen zu ersetzen.

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