Klage gegen die Balfour-Deklaration revisited: Palästinensischer Feldzug gegen die Geschichte

Anlässlich des Hundert-Jahre-Jubiläums der Balfour-Deklaration läuft die palästinensische Propaganda auf Hochtouren. Immer schriller werden die Worte, mit denen der kurze Brief des britischen Außenministers vom 2. November 1917 an den Pranger gestellt wird – bis hin zu einem Sprecher der angeblich gemäßigten Fatah, der in der in einer offiziellen Tageszeitung der Palästinensischen Autonomiebehörde allen Ernstes behauptete, die Balfour-Deklaration sei das „schrecklichste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit“.

So absurd die palästinensischen Vorwürfe auch sind, die Geschichtsklitterung erfüllt einen klaren Zweck: Jegliche Beziehung der Juden zu Palästina soll geleugnet und Israel als das Ergebnis einer ausländischen Verschwörung gebrandmarkt werden. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir erneut den Beitrag über die palästinensische Kampagne gegen die Balfour-Deklaration, der auf Mena Watch erstmals im August 2016 publiziert wurde.


Klage gegen die Balfour-Deklaration: Palästinensischer Feldzug gegen die Geschichte

Von Florian Markl

Balfour-DeklarationBei einem Treffen der Arabischen Liga kündigte der palästinensische Außenminister Riyad al-Maliki an, Großbritannien wegen der sogenannten Balfour-Deklaration vor Gericht bringen zu wollen. Darin hatte das Königreich im November 1917 seine „Sympathie mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen“ und seine Unterstützung für die „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ bekundet – weswegen es aus Sicht der Palästinenserführung für alle „israelischen Verbrechen“ seit der Gründung des jüdischen Staates 1948 verantwortlich sei.

Man ist geneigt, dieses im Namen von Mahmud Abbas, dem Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), vorgebrachte Unterfangen zu belächeln und einfach als den geschichtsklitternden Unfug abzutun, der es ohne Zweifel ist. Das wäre jedoch insofern ein Fehler, als dieser palästinensische Vorstoß wie kaum ein anderer zum Ausdruck bringt, worum es der palästinensischen Führung in der Auseinandersetzung mit Israel geht – und warum die Hoffnung illusorisch ist, dass sie den Krieg gegen den jüdischen Staat jemals beenden werde.


„Auf Kosten unseres palästinensischen Volkes“

Beim arabischen Gipfeltreffen in Mauritanien erläuterte Riyad al-Maliki, warum Großbritannien vor einen (nicht näher definierten) internationalen Gerichtshof gebracht werden soll. Fast hundert Jahre seien vergangen, seit Großbritannien mit der Balfour-Deklaration die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina unterstützt habe.

„Auf Basis dieses unheilvollen Versprechens wurden hunderttausende Juden aus Europa und von anderswo her nach Palästina gebracht, auf Kosten unseres palästinensischen Volkes, dessen Eltern und Großeltern seit tausenden von Jahren auf dem Boden ihres Heimatlandes gelebt hatten.“

Mit der Balfour-Deklaration sei „Leuten, die nicht hierher gehören, etwas gegeben, das ihnen nicht gehört“. Ein direkter Weg führe von der britischen Unterstützung der Zionisten zur „palästinensischen Nakba“, der „Katastrophe“ der Gründung Israels und der Flucht hunderttausender Araber aus dem Gebiet des neu entstandenen jüdischen Staates. Wegen dreier Sätze, die ein britischer Außenminister im Jahre 1917 an ein prominentes Mitglied der britischen jüdischen Gemeinde schrieb, solle das Königreich also zur Verantwortung gezogen werden. Kurz gesagt: Die Balfour-Deklaration „verursachte die Katastrophe, die über das palästinensische Volk kam“.


Die Balfour-Deklaration und die britische Politik im Mandatsgebiet Palästina

Wie unter anderem Lyn Julius in the algemeiner richtig bemerkte, ist an der von al-Maliki propagierten Version der Geschichte so gut wie nichts zutreffend. Konzentrieren wir uns auf einige der gröberen Unwahrheiten.

Historisch kann keine Rede davon sein, dass die Juden als Folge der Balfour-Deklaration ins Gebiet des zukünftigen Staates Israel gekommen wären. Einerseits hatte die verstärkte jüdische Einwanderung bereits Jahrzehnte zuvor begonnen, andererseits hatte es im Land selbst, das einst von jüdischen Königreichen regiert worden war, im Wesentlichen durchgängig jüdische Gemeinden wie die Jahrhunderte alte von Hebron gegeben; Jerusalem etwa hatte bereits im 19. Jahrhundert eine jüdische Bevölkerungsmehrheit.

Darüber hinaus wurden Juden nicht „auf Basis“ der Balfour-Deklaration „ins Land gebracht“, sondern kamen entweder aus zionistischer Überzeugung in das Land, das sie als ihre historische Heimat begriffen, oder flohen vor dem immer bedrohlicher werdenden europäischen Antisemitismus, der schließlich im systematischen Massenmord an den europäischen Juden gipfelte.

Angesichts der tatsächlichen geschichtlichen Entwicklung ist schließlich auch die Behauptung grotesk, die Briten hätten die Einwanderung der Juden und die Gründung Israels vorangetrieben. Zutreffend ist eher noch das Gegenteil: Obwohl die Balfour-Deklaration nach dem Ersten Weltkrieg von der Friedenskonferenz in San Remo (1920) bestätigt, in das Statut des britischen Mandatsgebiets Palästina (1922) aufgenommen und die Schaffung einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“ damit explizit zur Aufgabe der Mandatsmacht erklärt wurde, schlugen die Briten alsbald einen Kurs ein, der diesem Auftrag deutlich widersprach. Mit der Schaffung (Trans-)Jordaniens wurden vier Fünftel des Gebiets vom Mandatsterritorium abgetrennt, auf dem die jüdische Heimstätte entstehen sollte.

Lager für jüdische Flüchtlinge auf Zypern, die von den Briten nicht nach Palästina gelassen wurden.
Lager für jüdische Flüchtlinge auf Zypern, die von den Briten nicht nach Palästina gelassen wurden.

Zusätzlich wurde die jüdische Einwanderung zunehmend restriktiver gehandhabt, um die Araber im Land zu beschwichtigen. Just als der Antisemitismus in Europa massenmörderische Ausmaße annahm und Millionen Juden einen Zufluchtsort gebraucht hätten, wurde die Einwanderung ins Mandatsgebiet Palästina so gut wie vollständig unterbunden: 1941, am Vorabend des Holocaust, gelangten gerade einmal rund viereinhalb Tausend Juden ins Land.

Sowenig das britische Königreich die Einwanderung von Juden ins spätere Israel förderte, sowenig trieb es die Gründung des jüdischen Staates voran, der nach dem Zweiten Weltkrieg vielmehr gegen britischen Widerstand ins Leben gerufen werden musste. Die Entstehung Israels war weder Resultat der Balfour-Deklaration, noch unmittelbare Folge des UN-Teilungsbeschlusses vom November 1947, der die Schaffung eines arabischen und eines jüdischen Staates im Mandatsgebiet Palästina gefordert hatte, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Aufbauarbeit auf der Basis historischer Ansprüche und der Fähigkeit, sein Überleben militärisch zu sichern. Großbritannien dafür verantwortlich machen zu wollen, ist schlicht absurd.


Leugnung der Geschichte

In der Sicht der palästinensischen Führung wurde die reale Geschichte des Kampfes der Juden um nationale Unabhängigkeit, der auch und gerade gegen das britische Königreich geführt werden musste, durch eine internationale Verschwörung unter britischer Führung zu Lasten der Palästinenser ersetzt, die Juden ins Land gebracht habe, die hier nichts zu suchen gehabt hätten. Die palästinensische Leugnung der Geschichte beinhaltet drei wesentliche Elemente.

Erstens wird jeglicher Bezug der Juden zu dem Land bestritten, auf dem sie ihren Staat errichteten. Von Jassir Arafat, der stets bestritt, dass es in Jerusalem je einen jüdischen Tempel gegeben habe, führt eine direkte Linie zur heutigen palästinensischen Führung, die in einem Vorstoß bei der UNESCO die Klagemauer als ‚muslimisches Heiligtum‘ bar jeder jüdischen Bedeutung anerkannt bekommen will, und zu Mahmud Abbas, der wiederholt behauptete, der Jude Jesus sei in Wahrheit Palästinenser gewesen. Der Zweck dieser geschichtsverdrehenden Lügen ist nicht schwer zu erkennen: Da die Juden keinerlei Bezug zum Land hätten, sei der Anspruch auf einen jüdischen Staat samt und sonders illegitim.

Während die Juden also in Wahrheit ein Fremdkörper in Palästina seien, lebten die Palästinenser zweitens, in den Worten des palästinensischen Außenministers, „seit tausenden von Jahren auf dem Boden ihres Heimatlandes“. Tausende Jahre jüdischer Geschichte seien nichts als eine Lüge, gegen die die angeblich lange Tradition eines Volkes in Stellung gebracht wird, das zum Zeitpunkt der Balfour-Deklaration vor rund hundert Jahren noch nicht einmal existierte.

Zur Zeit des Ersten Weltkrieges war ein arabischer Nationalismus höchstens rudimentär vorhanden, einen palästinensischen Nationalismus gab es nicht. Die Araber, die in Palästina lebten – eine geographischen Bezeichnung ohne jegliche politische Bedeutung –, verstanden sich allenfalls als Syrer und betrachteten das Land als Teil Syriens. Viele von ihnen waren kaum länger im Lande als die jüdischen Einwanderer bzw. erst in deren Folge gekommen. Erst in den späten 1950er-Jahren entstand mit der Fatah eine distinkt palästinensische Gruppierung, die PLO wurde erst in den 1960er-Jahren gegründet. Das angeblich seit tausenden von Jahren existierende palästinensische Volk ist eine reine Fiktion.

Die Leugnung jüdischer historischer Ansprüche und die Erfindung einer palästinensischen Tradition dienen drittens der Untermauerung der palästinensischen Opfererzählung: Die alt eingesessene Bevölkerung sei unter die Räder einer internationalen Verschwörung gekommen, die Balfour-Deklaration für die „Nakba“ verantwortlich, die Palästinenser Opfer einer ausländischen Invasion geworden.

Völlig ausgeblendet wird dabei, dass die palästinensische „Katastrophe“ in erster Linie von der eigenen Führung zu verantworten war und ist. Nicht die Gründung Israels an sich – und erst recht nicht die Balfour-Deklaration – hätte zur Flucht hunderttausender Araber führen müssen. Dafür war vielmehr eine arabische Politik verantwortlich, die sich jedem Kompromiss verweigerte und jede Form jüdischer Souveränität ablehnte, sowie der Krieg, mit dem irreguläre Milizen sowie die Armeen arabischer Staaten den jüdischen Staat auszuradieren trachteten.

Statt sich selbstkritisch mit der Politik auseinanderzusetzen, die zur beklagenswerten Lage der Palästinenser geführt hat und diese seit Jahrzehnten einzementiert, hat die palästinensische Führung mit der Balfour-Deklaration einen neuen Sündenbock gefunden, mit dem die eigene Verantwortung externalisiert und alle Schuld verschwörungstheoretisch auf auswärtige Mächte abgeschoben werden kann.


Die Bedeutung des palästinensischen Vorstoßes

Die Absicht, Großbritannien vor Gericht zu zerren, offenbart gleiche mehrere Punkte, die zur Kenntnis genommen werden sollten, sofern man an einer realistischen Einschätzung der palästinensischen Führung und an den Chancen für einen genuinen Friedensprozess interessiert ist.

Ziel des palästinensischen Vorstoßes ist in Wahrheit nicht eine Verurteilung Großbritanniens (vor welchem Gericht auch immer) für die als illegal erachtete Balfour-Deklaration, sondern dass auf diesem Wege dem jüdischen Staat und der Anwesenheit von Juden in ‚Palästina‘ jede Legitimation abgesprochen werden soll. Als unrechtmäßige Usurpatoren hätten Juden keinerlei Berechtigung auf Jerusalem, Tel Aviv oder welchen Platz auch immer sonst im Land.

Klagemauer in Jerusalem. Laut palästinensischer Führung gab es hier nie einen jüdischen Tempel
Klagemauer in Jerusalem. Laut palästinensischer Führung gab es hier nie einen jüdischen Tempel

Daraus folgt freilich eine grundlegende Absage an den Friedensprozess. Anstatt zu akzeptieren, dass Frieden nur als Kompromiss erreichbar ist, werden die Ansprüche der Juden kategorisch bestritten und jeder Ausgleich verunmöglicht. Wie anhand der jüngsten Initiative deutlich wird, geht es der palästinensischen Führung nicht um die israelische Anwesenheit im Westjordanland, sondern um Israel selbst.

Es war nur konsequent, dass Mahmud Abbas im vergangenen Herbst vor dem UN-Menschenrechtsrat klagte: „Wie lange wird diese sich hinziehende israelische Besatzung unseres Landes dauern? Nach 67 Jahren, wie lange?“ Erstaunlich war nicht etwa, dass Abbas die „israelische Besatzung unseres Landes“ mit der Gründung des jüdischen Staates beginnen ließ, sondern dass er von einem internationalen Gremium derart Klartext sprach.

Westliche Beobachter und Entscheidungsträger sollten endlich zur Kenntnis nehmen, dass es bei dem palästinensisch-israelischen Konflikt nicht um die Besatzung, israelische Siedlungen und Ost-Jerusalem geht. Der juristische Feldzug gegen die Balfour-Deklaration sollte deutlich machen: Aus palästinensischer Sicht ist das Problem nicht 1967, sondern 1948.

Schließlich ist der aktuelle Vorstoß ein weiteres Beispiel dafür, dass es der palästinensischen Führung nicht um eine Besserung der Lebensumstände und Aussichten der eigenen Bevölkerung geht, sondern um symbolische Aktionen, die im Grunde niemandem etwas bringen. Da Abbas & Co. an substanziellen Verhandlungen oder gar einem Frieden mit Israel keinerlei Interesse haben, haben sie den ihnen Untergebenen nichts anderes vorzuweisen als symbolische Aktionen.

Gestern war es der Jubel darüber, dass nun auch die palästinensische Flagge vor dem UN-Gebäude in New York aufgezogen wurde, heute ist es eben der angekündigte juristische Feldzug gegen die Balfour-Deklaration. Gemein haben diese Aktionen vor allem eins: Sie bringen niemandem etwas – am allerwenigsten der palästinensischen Bevölkerung, die seit Jahrzehnten von einer empörend inkompetenten Führung um ihre Zukunft gebracht wird.

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