Islamischer Staat: Angst vor „Liebe und nackten Frauen“

Von Thomas von der Osten-Sacken

Islamischer Staat: Angst vor „Liebe und nackten Frauen“„Die Sexualität ist zum Dreh- und Angelpunkt geworden, um den sich aufgeklärte Werte und Fortschritt drehen. Sexuelle Freiheiten sind zum Lackmustest geworden, um zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften unterscheiden zu können.“ Maajid Nawaz, der im Mai diese Zeilen schrieb und gegen den dieser Tage eine äußerst unappetitliche Diffamierungskampagne läuft, könnte nicht mehr Recht haben. Islamisten sind gewalttätige, sexbesessene Kontrollfreaks. Und sie leiden an ganz schweren Störungen, die sie mehr schlecht als recht ideologisch zu rationalisieren und kanalisieren versuchen. So könnte man es auch ausdrücken.

Eher die Regel als die Ausnahme etwa ist, dass man auf den Mobiltelefonen getöteter oder gefangen genommener IS-Kämpfer ganze Sammlungen von Pornovideos findet, Viagra soll in Raqqa und Mosul ein Verkaufsschlager sein und es gehört zum guten Ton, sich zotig zu erzählen, was man so mit seiner Sexsklavin getrieben hat. Jedoch: Was sich der junge IS-Kämpfer auf seinem Mobiltelefon heimlich anschaut, das darf er nur ausleben, wenn die Organisation es ihm erlaubt und reglementiert, wie und mit wem. Diese Sexualität hat nichts mit Begehren, Erfüllung oder gar gleichberechtigtem Genuss zu tun, im Kalifat kommt sie zu sich, wo yezidische Mädchen als Sexsklavinnen missbraucht werden. Oder aber sie gilt der Reproduktion, der Zeugung neuer Kämpfer und selbst yezidische Mädchen erzählen, dass sie Monat für Monat gefragt wurden, ob sie denn nun endlich schwanger seien. Denn zur Herrschaft des IS gehört dann auch, dass fast jede tägliche Verrichtung, von Kleidung, Essen und Ähnlichem gar nicht zu reden, genau vorgeschrieben wird. Nichts wird dem Zufall, der ja ein gefährlicher Gegner im Alltag ist, überlassen.

Kürzlich fanden irakische Soldaten, die in der Nähe von Mosul ein Dorf von der Herrschaft des IS befreit hatten, dann auch eine weitere dieser vielen seltsamen Bedienungsanleitungen, die seitenlang erklären und vorschreiben, wie man im Kalifat zu leben, lieben, beten, sich zu kleiden, essen und selbst zu waschen habe. Vor Verrichtung des Gebetes etwa solle An Iraqi soldier shows a pamphlet which reads "Wearing beards is compulsory, shaving is prohibited" along a street of the town of al-Shura, which was recaptured from Islamic State (IS) on Saturday, south of Mosul, Iraq October 30, 2016. REUTERS/Zohra Bensemra/Filesman seine Füße gründlich säubern, aber unbedingt bei den Zehen anfangen. Und natürlich stehen auf die Nichtbeachtung der grundsätzlichen Regeln schwere Strafen, bis hin zu öffentlichen Kreuzigungen. Hinrichtungen gehören zum Alltag, Gewalt ist allgegenwärtig und stellt eine der wichtigsten Schmiermittel des ganzen repressiv-regulierten Systems dar.

Besonders stolz aber ist der IS darauf, dass er die Sklaverei öffentlich wieder eingeführt hat, und dass tausende von jungen yezidischen Mädchen seit über zwei Jahren als Sexsklavinnen systematisch mißbraucht werden. Die Geschichten von Rückkehrerinnen beschreiben eine Hölle sondersgleichen: Notgeile Jihadisten, die sie teils bis zu sechs Mal am Tag vergewaltigten. Aber auch dies hat nach genauen Regeln zu funktionieren und so sind Anleitungen, wie man wann mit seiner Sklavin Sex haben kann und soll, Legion im IS-Herrschaftsgebiet: Gruppensex mit Sklavinnen ist verboten. Aber ansonsten kann man sich auch mit Kindern vergnügen, nur vor der ersten Monatsblutung sollte es nicht zur Penetration kommen.

So sehr unterscheidet sich der IS da auch gar nicht von anderen Islamisten oder den Fatwas führender muslimischer Kleriker, die mit oft erstaunlicher anatomischer Kenntnis minutiös vorschreiben, was im Bett gestattet ist und was nicht. Gerade Sexualität, der ja als Triebabfuhr eine wichtige Rolle zugestanden wird, obliegt dabei genauesten Reglementierungen und Verboten. Es gilt die (männlichen) Triebe und Wünsche, so regressiv, gewalttätig, verklemmt sie auch sein mögen, möglichst oft zu befriedigen – und wer erfolgreich und möglichst häufig „fickt“, der ist ein vollwertiger Gotteskrieger. Kein Wunder, dass die Idee, sich im Kalifat eine Sklavin kaufen zu können für viele in Europa einen besonderen Anreiz darstellte, in den Jihad zu ziehen. Das zeigten Gespräche mit IS-Rückkehrern. Zugleich aber muss jede Form anderer Sexualität, ja nur der Gedanke an ein anderes Liebes- und Geschlechtsleben: an Erotik und Sinnlichkeit verteufelt und möglichst unter Strafe gestellt werden.

Und alles, was an dieses andere erinnert, muss weg, zerstört, vernichtet werden: Satelitenfernsehen etwa, denn es  zeigt ja „stories of love and naked women and inappropriate language“. Liebe und nackte Frauen sind also die größten Bedrohungen, die das Kalifat neben Juden, Schiiten und Kreuzrittern kennt: Sie nämlich sind es, die den aufrechten Jihadisten in ein Weichei zu verwandeln drohen, denn, so erklärt der IS weiter: „Satellitenkanäle machen Männer weibisch und verweichlichen sie.“  Die meist keine 25 Jahre alte Kämpfer des IS – kommen sie aus Europa handelt es sich in der Regel um verkrachte Existenzen, die kaum für ihre eigene Subsistenz zu sorgen in der Lage waren – fürchten nämlich nichts so wie Verweichlichung. Hart aber können sie nur sein, wenn sie mit dem Segen der Kleriker minderjährige Mädchen vergewaltigen.

Es ist diese Mischung, aus vermeintlicher Härte, panischer Angst vor „Liebe und nackten Frauen“ und dem obsessiven Drang, Sexualität zu reglementieren, die der eingangs zitierte Maajid Nawaz meint, wenn er über sexuelle Freiheit als Lackmustest spricht. Denn, so fährt er fort:

„The drug that dogmatic ideologues are usually addicted to is control, and the thirst for control almost always manifests itself in sexual control. … And it is why – regardless of our gender or sexual orientation – the struggle against controlling sexuality should preoccupy us all.”

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