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In Tunesien steht ein Regierungswechsel bevor

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Graffiti aus der Zeit des tunesischen Umsturzes im Jahr 2011

Tunesien gilt als das Vorzeigeland des arabischen Frühlings, aus dem ein demokratisches System entstand, und das bisher im Vergleich weitgehend von Bürgerkrieg und Gewalt verschont geblieben ist. Dennoch löst hier ein Bedrohungszenario das nächste ab. Islamisten hatten im Frühjahr versucht, eine südtunesische Stadt einzunehmen und hätten damit fast Erfolg gehabt. Die chronische wirtschaftliche Krise verschärft sich derzeit weiter, und die Politik besteht aus einer handlungsunfähigen Regierung und einem Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit besitzt.

Vor nunmehr 2 Monaten wurde der Vorschlag vom Präsidenten der Republik Beji Said Essebsi unterstützt, eine Einheitsregierung zu formieren, um wirtschaftliche Not und Terror in den Griff zu bekommen. Anlass war auch die ungünstige Kräfteverteilung im Parlament, wo nach einer Spaltung innerhalb der Regierungspartei die oppositionelle Partei der Muslimbrüder Ennahdha die Mehrheit besitzt. Die Regierungspartei Nidaa Tounes besitzt mit 64 Sitzen nun fünf Sitze weniger als die Muslimbrüder.

Beteiligt an besagter Einheitsregierung sollen alle großen im Parlament vertretenen Parteien sein, auch der bisher parteilose Block der ehemaligen Nidaa Tounes Parlamentarier, der sich nun als neu gegründete Partei Machrou Tounes formiert. So zumindest die Theorie. In der Praxis ist die Frist zur Bildung dieser neuen Regierung am 25. Juli ergebnislos verstrichen.

Einer der Gründe dafür ist der nicht scheiden wollende Ministerpräsident Habib Essid. Anstatt seinen Rücktritt zu erklären, ist er bereit, ein Misstrauensvotum anzustoßen. Dass er abgesägt wird, gilt trotz seiner Hartnäckigkeit allerdings als unabwendbar. In den Medien kündigen nach und nach Politikvertreter an, dass sie das Misstrauen aussprechen möchten. Derweil wird beteuert, dass in der Zwischenzeit kein politisches Vakuum entstehen wird, um das Land nicht noch weiter in Handlungsunfähigkeit zu stürzen.

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Demonstration in Tunis vom vergangenen Mittwoch

Die Parlamentarier stehen allerdings nicht nur deshalb unter Druck. Am Mittwoch kam es in der Hauptstadt Tunis zu Demonstrationen mit mehreren hundert Teilnehmern, da ein Gesetz im Parlament diskutiert werden soll, dass ehemaligen Teilhabern am Ben-Ali-Regime Freiheit von Strafverfolgung verspricht, wenn damals hinterzogene Gelder wieder zurück gegeben werden. Die Protestierenden kritisierten, dass Korruption nicht verharmlost werden dürfe und sahen die Ziele ihrer „Revolution“ verraten.

Man fühlt sich an die Jahre 2013 und 2014 erinnert: an die Zeit, nachdem vor genau drei Jahren am 25. Juli 2013 der linke Politiker Mohammed Brahmi vor seinem Haus erschossen worden war. Dieses Attentat stürzte Tunesien in eine politische Krise, die mit Massenprotesten begann, dann abebbte und in politische Handlungsunfähigkeit mündete, die erst damit endete, dass man sich Ende 2013 darauf einigte, eine Regierung aus Technokraten einzusetzen, bis Neuwahlen stattfinden würden. Die derzeitige Krise resultiert aus wirtschaftlicher Knappheit, die sich seit dem Sturz Ben Alis noch verschärft hat, und aus der Bedrohung durch den islamistischen Terror, der im Nachbarland Libyen zeitweise beängstigende Stärke erreicht hatte.

Auch innerhalb der islamistischen Partei Ennahdha gab es in den letzten Wochen große Veränderungen und Umwälzungen. Ein neues Parteiprogramm war verabschiedet worden und beim zehnten Parteitag im Juni vorgestellt worden. Es soll die Trennung von Politik und Religion zumindest offiziell festigen. In dem Radiosender Radio France Internationale wurde allerdings ehemalig Regierungschef und Ennahdha-Mitglied Ali Larayedh zitiert: Man wolle die Bewegung der Muslimbruderschaft nicht verleugnen. Man versucht so, die Muslimbruderschaft in der Mitte der Gesellschaft Tunesiens zu etablieren, ohne dabei ihre konservative Basis zu verschrecken.

Mit dem neuen Statut wurde auch die Amtszeit des Parteivorsitzenden auf zwei Wahlperioden beschränkt, womit angeblich Rached Ghannouchis, der schon beteiligt an der Gründung der „Bewegung“ war und den Vorsitz bereits seit 1991 inne hat, letzte Amtszeit angebrochen ist. Nach einer Umfrage von Emrhod Consulting nutzt das alles den Islamisten in der öffentlichen Meinung nicht viel. Nur etwa 22% würden die Ennahdha wählen, das schlechteste Ergebnis seit dem Sturz Ben Alis 2011.

Am 30. Juli nun wird über das Misstrauensvotum gegen den amtierenden Premierminister Essid abgestimmt. Essid wäre dann bereits der sechste Regierungschef, der seit dem Sturz Ben Alis schon vor dem Ende seiner offiziellen Amtszeit abdankt. Danach wird unter Einbeziehung der größten Gewerkschafts- und Industrieverbände eine neue Regierung gebildet werden und hoffentlich zumindest der parlamentarischen Krise ein Ende gesetzt werden.

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