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Ein Verbündeter des Westens, der die Demokratie hasst

Gastbeitrag von Thomas von der Osten-Sacken

Vor fünf Jahren brach der so genannte arabische Frühling aus, der im Januar 2011 dann zum Sturz des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali führte. Ben Ali floh und suchte in Saudi-Arabien Zuflucht. Es war alles andere als Zufall, dass sich der tunesische Diktator die Golfmonarchie als Asylland ausgesucht hat. Wie kein anderer Staat in der Region steht Saudi-Arabien für den Erhalt des Status Quo im Nahen Osten, fürchtet die Regierung in Riad doch, jede Art von Veränderung könnte langfristig auch ihren Herrschaftsanspruch gefährden. Vom ersten Tag an stand Saudi-Arabien deshalb in radikaler Opposition zu allem, was mit den Aufständen des arabischen Frühlings zu tun hatte. Ob es die Forderungen der jungen Demonstranten nach Demokratie und freien Wahlen waren oder aber der Versuch der Muslimbrüder, die Gunst der Stunde für ihre Ambitionen zu nutzen.

Syrian Opposition

Um den Status Quo zu erhalten, zeigte sich die saudische Führung jederzeit bereit, auch Diktatoren wie Ben Ali in Tunesien oder Hosni Mubarak in Ägypten zu unterstützen, die selbst keineswegs der am Golf gepredigten und umgesetzten reinen Lehre des Islam folgten. Der Feind nämlich ist klar benannt: Schon vor über zwanzig Jahren erklärte der inzwischen verstorbene saudische König Fahd einer kuwaitischen Zeitung, Demokratie sei ganz und gar unislamisch und für die arabische Welt ungeeignet.


Assads großer Fehler

Auch mit dem Assad-Regime hatten die Saudis vor 2011 keineswegs etwa Probleme, weil es eine repressive und brutale Diktatur war, ganz im Gegenteil näherten sich Riad und Damaskus in den Jahren vor Ausbruch der Revolte in Syrien sogar eher an. Milliarden von Petro-Dollars flossen in Bau- und Entwicklungsprojekte vor allem an der syrischen Küste.

Wenn die Saudis heute als erklärte Gegner Assads auftreten, seinen Sturz fordern und verschiedene Rebellen- und Oppositionsgruppen unterstützen, dann sicher nicht, weil es ihnen um mehr Freiheit in Syrien geht. In ihren Augen hat das syrische Regime bloß den Fehler begangen, sich nach 2011 noch enger an den schiitisch-revolutionären Iran, seinen traditionellen regionalen Alliierten und zugleich Hauptfeind der sunnitischen saudischen Monarchie, anzulehnen. Dass Assad die Demonstrationen mit iranischer Hilfe niederkartätschen ließ, statt sich um Hilfe an seine arabischen Brüder am Golf zu wenden, war aus saudischer Sicht sein Kardinalfehler.


Gegen Pluralismus und Demokratie

Denn auch Riad hat kein Interesse an einer erfolgreichen Transformation Syriens in einen freieren, pluraleren und demokratischeren Staat. Ganz im Gegenteil: Von Anfang an förderten und finanzierten die Saudis deshalb Gruppen, die eine dezidiert sunnitisch-islamistische Agenda verfolgten. Wenn schon Assad gestürzt werden muss – und eigentlich halten es die Saudis eben nicht mit Regime Change – dann wenigstens von einem Klientel, das Syrien eine Zukunft unter der Fahne des Propheten verspricht.

Ausgerechnet an Saudi-Arabien delegieren jetzt Europa und die USA die Organisation der syrischen Opposition für kommende Friedensverhandlungen mit dem Regime. Unwidersprochen einigte man sich auf den Syrien-Konferenzen im Wiener Hotel Imperial, an denen keine Syrer teilnahmen, dass in diesem Prozess die syrische Opposition fortan von Riad betreut und organisiert werden solle.


Patron Saudi-Arabien

Wie umfassend der westliche Verrat an den Protestbewegungen von 2011 inzwischen ist, zeigt sich nicht nur daran, dass der Iran sich längst zum wichtigen Partner entwickelt hat, auch wenn er maßgeblich an der Niederschlagung der Proteste in Syrien beteiligt war und 2009 selbst mit äußerster Brutalität die Freiheitsbewegung auf den Straßen Teherans und anderer iranischer Städte unterdrückte. Der Verrat wird auch dadurch deutlich, dass die syrische Opposition ausgerechnet einem der repressivsten und unfreiesten Länder der Region überantwortet wird.

Der Westen übt sich damit in Zurückhaltung, schließlich hätte man den syrischen Rebellen auch anbieten können, sich in Paris, New York oder London zu treffen. Lieber aber verhandelt man die Zukunft Syriens inzwischen ausschließlich mit erklärten Gegnern von Demokratisierung und Säkularismus in der Region – egal ob Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei, so verfeindet sie untereinander auch sein mögen, eint sie doch die Angst und Feindschaft vor allem, was auch nur entfernt mit den Ideen des sogenannten arabischen Frühlings zu tun hat. Beklagt man im Westen zwar pro forma, die syrische Opposition islamisiere sich zunehmend, so unternimmt man zugleich alles, damit sie weiter in die Arme von Islamisten getrieben wird.

Was man in der Golfmonarchie von Oppositionellen hält, machte die saudische Regierung erst kürzlich wieder klar: In der Todestrakten des Landes sitzen die Jugendlichen Ali al-Nimr, Abdullah Hasan al-Zaher und Dawood Hussein al-Marhoon und warten auf ihre Enthauptung. Das Verbrechen, das ihnen zur Last gelegt wird: Teilnahme an regimefeindlichen Demonstrationen.

Ali al-Nimr


Ist den Saudis zu trauen?

Indem der Westen die syrischen Rebellen der Obhut Riads übergibt, verstärkt er zusätzlich den Eindruck, bei dem Konflikt in Syrien handle es sich nicht vor allem um den Aufstand gegen einen brutalen Diktator, sondern einen intrakonfessionellen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, in dem die selbsternannten Schutzmächte der jeweiligen Konfessionen ganz selbstverständlich eine führende Rolle zu spielen haben.

Derweil nähern sich Europa und die USA immer stärker dem Iran an. Während keine der schiitischen Milizen, die in Syrien auf Seiten des Regimes kämpfen, bei den Wiener Verhandlungen als terroristische Gruppen aufgelistet wird – nicht einmal die libanesische Hisbollah, die selbst in der EU teileweise als terroristische Vereinigung gilt – sollen syrische Rebellen einer genauen Prüfung unterzogen werden. Sind sie als islamistische Terroristen von künftigen Verhandlungen auszuschließen? Für Assad und seine Alliierten ist ohnehin jeder, der mit der Waffe in der Hand gegen das Regime kämpft ein Terrorist. Aber ist den Saudis selbst überhaupt zu trauen? Finanzieren sie nicht seit Jahrzehnten allerhand Dschihadisten und radikale Islamisten?


Das saudische PR-Problem

Ausgerechnet jetzt nämlich, wenn auch mit dreißig Jahren Verspätung – das Land hat sich in dieser Zeit nicht groß verändert – entdecken Politiker wie Kommentatoren, wie schlimm es eigentlich in Saudi-Arabien zugeht, ja dass die dortigen Verhältnisse sich kaum von denen im Kalifat des Islamischen Staates unterscheiden. Ob deutscher Bundesnachrichtendienst oder Vizekanzler Gabriel, es ist gerade ganz en Vogue, vor den Saudis als ‚falschen Freunden‘ zu warnen, die in Wirklichkeit weltweit Islamismus und Dschihadismus exportierten.

Selten war der Ruf der Saudis, die jahrelang als ‚unsere moderaten Alliierten am Golf‘ galten, so schlecht und angeschlagen wie dieser Tage. Ihre Rolle als vermeintlicher Stabilitätsfaktor hat längst der Iran eingenommen, auf dem Flugplatz in Teheran drücken sich heute westliche Politiker und Wirtschaftsdelegationen so die Klinke in die Hand, wie sie es vor Jahren in Riad taten.


Entschuldigung für später

Ausgerechnet aber in die Arme dieser neuerdings so ungeliebten Saudis treibt man nun die syrische Opposition, nur um dann zu beklagen, es fehle ihr an moderaten Elementen, sei sie doch von sunnitischen Islamisten dominiert. Sollte, wovon man ausgehen kann, der in Wien angestoßene Friedensprozess, der in Wirklichkeit vor allem eine Kapitulation vor Russland und dem Iran ist, so scheitern, wie alle Friedensinitiativen zuvor, kann man wenigstens den Saudis und der syrischen Opposition die Schuld dafür geben, die man zuvor so schmählich hat hängen lassen. Und danach, zum fünften Jahrestages des Sturzes von Ben Ali, noch ein paar tiefschürfende Artikel verfassen, warum es eben mit der Demokratie und Freiheit in der arabischen Welt nicht funktioniere und starke Männer, seien sie auch Diktatoren wie Assad, dem Chaos allemal vorzuziehen wären.

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