Die Leiden einer Israel-Boykotteurin

Von Alex Feuerherdt

Die britische Musikerin Kate Tempest hat ihr Konzert in Berlin abgesagt. Aufgrund ihrer Unterstützung eines umfassenden Boykotts gegen Israel soll es Drohungen gegen sie gegeben haben. Diese Selbststilisierung zum Opfer ist allerdings mehr als fragwürdig.

Die Leiden einer Israel-BoykotteurinDas hatte sich der neue Intendant der Berliner Volksbühne, Chris Dercon, ganz anders vorgestellt: Gleich das erste Popkonzert, das unter seiner Ägide in der neuen Spielstätte im vormaligen Flughafen Tempelhof stattfinden sollte, muss ausfallen. Eigentlich hätte dort die britische Rapperin Kate Tempest am 6. Oktober ihr neues Album „Let them eat chaos“ ins Werk setzen sollen, doch nun sagte die 31-Jährige ihren Auftritt ab. Persönliche Bedrohungen, die sie per E-Mail und in sozialen Netzwerken erhalten habe, hätten zu diesem Schritt geführt, ließ ihr Management verlautbaren. In einer solch „aggressiven Atmosphäre“ wolle Tempest nicht auftreten, und auch die Sicherheit ihres Teams sei gefährdet, hieß es in der Erklärung weiter.

Der Hintergrund besteht ganz offensichtlich darin, dass die Sängerin einen Boykott Israels befürwortet. Einem Beitrag auf Zeit Online zufolge wurde sie dafür in den Social Media scharf kritisiert, zudem soll die Volksbühne in diesem Zusammenhang aufgefordert worden sein, ihr keinen Raum für ein Konzert zu geben. Tempest hatte vor rund zweieinhalb Jahren ein „Gelöbnis“ der Britischen Künstler für Palästina unterzeichnet, dessen Unterstützer sich verpflichteten, den palästinensischen Aufruf zu einem Boykott des jüdischen Staates zu unterstützen und „weder beruflichen Einladungen nach Israel zu folgen noch eine Finanzierung durch Einrichtungen zu akzeptieren, die mit der israelischen Regierung verbunden sind“.

In einem ergänzenden Text des Zusammenschlusses war zu lesen, die Unterzeichner sollten auch jegliche Zusammenarbeit mit Institutionen unterlassen, die „zur [israelischen] Besatzung und der damit zusammenhängenden Politik schweigen oder an ihr mitschuldig sind“. Zudem wurde ihnen nahegelegt, möglichst dazu beizutragen, dass ihre Werke in Israel nicht verfügbar sind. Einladungen zu Veranstaltungen im jüdischen Staat seien abzulehnen. Zu unterstützen sei vielmehr die BDS-Bewegung, wobei man sich nicht am Vorwurf des Antisemitismus stören solle, der ihr gegenüber erhoben werde. Denn dieser Vorwurf, so die Initiatoren des „Gelöbnisses“, sei nur dazu da, „von der Kritik an Israel abzulenken, Kritiker einzuschüchtern und eine ernsthafte Diskussion zum Verstummen zu bringen“.


Tempest stilisiert sich zum Opfer

Kate Tempests Unterschrift unter dieses Bekenntnis zur Dämonisierung und Delegitimierung Israels war eine von mehr als 1.200, andere kamen beispielsweise von Jarvis Cocker, Richard Ashcroft, Brian Eno, Robert Wyatt und Matthew Herbert. Eine israelfeindliche Haltung und daraus resultierende Sympathien für die BDS-Bewegung sind in britischen Künstlerkreisen extrem verbreitet, das Gleiche gilt für Gewerkschaften, Hochschulen und linke Organisationen auf der Insel. Proisraelischen Gegenwind gibt es in diesen Milieus nur wenig, deshalb dürfte Tempest überrascht gewesen sein, dass ihr geplantes Konzert in einem linken Biotop wie der Volksbühne keine ungeteilte Begeisterung hervorrief. Ob es wirklich ernstzunehmende Drohungen gab, bedürfte einer Prüfung. Bislang sind israelfreundliche Aktivisten in Deutschland jedenfalls nicht dadurch in Erscheinung getreten, dass sie die körperliche Unversehrtheit von „Israelkritikern“ beeinträchtigt haben. Der umgekehrte Fall dagegen kommt häufig vor.

Wenig überraschend hat Kate Tempest die Kritik an ihrer antiisraelischen Einstellung zurückgewiesen und erklärt, sie wolle „klarstellen, dass ich über die Handlungen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung entsetzt bin“. Sie habe „lange darüber nachgedacht“ und sich dann, „gemeinsam mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die ich respektiere, als Akt des Protestes dem kulturellen Boykott angeschlossen“. Als „Person jüdischer Abstammung“ sei sie zutiefst von den Vorwürfen verletzt, eine antisemitische Organisation zu unterstützen. „Ich bedauere, dass ich den Auftritt abgesagt habe, aber ich hatte das Gefühl, dass es weder ein angemessener noch ein sicherer Rahmen für mich wäre, meine Kunst zu präsentieren“, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite.

Damit stilisierte sich die Rapperin zum Opfer, während sie gleichzeitig bekräftigte, das „Gelöbnis“ der Britischen Künstler für Palästina aus voller Überzeugung unterzeichnet zu haben und es weiterhin für richtig zu halten. Ein „Gelöbnis“, das sich keineswegs nur gegen bestimmte „Handlungen der israelischen Regierung“ richtet, sondern auf den jüdischen Staat als ganzen zielt, ihn zum Inbegriff des Bösen macht und einem möglichst umfassenden Boykott das Wort redet. BDS ist eine antisemitische Bewegung, die aggressiv gegen jeden vorgeht, der ihre Ziele nicht ausdrücklich teilt. Und diese Feststellung hängt nicht von den persönlichen Hintergründen oder der „Abstammung“ derjenigen ab, die diesen Zusammenschluss tragen oder unterstützen.


Intendant schweigt zu Tempests BDS-Unterstützung

Tempests Absage kam einen Monat, nachdem mehrere arabische und britische Musiker ihren Auftritt auf dem Berliner Festival Pop-Kultur platzen lassen hatten. Sie zogen ihre ursprüngliche Zusage zurück, nachdem die israelische Botschaft die Großveranstaltung mit einem Zuschuss in Höhe von 500 Euro für die Reisekosten von Künstlern unterstützt hatte und BDS-Aktivisten die eingeladenen Bands und DJs daraufhin zum Boykott des Festivals gedrängt hatten. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer nannte die BDS-Aktivitäten „widerlich“. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, hat inzwischen angekündigt, „alles Mögliche zu tun, um BDS Räume und Gelder für seine antiisraelische Hetze zu entziehen“.

Chris Dercon dagegen, der Intendant der Volksbühne, bedauerte den Rückzug von Kate Tempest. „Das ist eine riesige Enttäuschung für uns und die vielen Besucher, die sich auf das Konzert gefreut haben“, sagte er. „Obwohl ich ihr Unwohlsein in dieser Situation verstehen kann, hätte ich mir gewünscht, dass sich die Künstlerin für einen Dialog mit ihrem Publikum geöffnet hätte.“ Dass Auftritte von BDS-Aktivisten noch weit mehr als Enttäuschung und Unwohlsein hervorrufen, scheint für Dercon nicht der Rede wert zu sein. Vielleicht kann der Berliner Kultursenator da ein wenig nachhelfen. Der Bedarf ist offenkundig gegeben.

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