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Wer Juden hasst, ist doch kein Antisemit!

Von Alex Feuerherdt

Ist die Hamas antisemitisch? Nur fast! Denn Araber können gar keine Antisemiten sein. Zumindest nicht auf einer „wissenschaftlich-etymologischen Ebene“, was auch immer das sein mag. So sieht man es jedenfalls beim renommierten Staatssender Deutschlandfunk.

 

Den Sieg der Hamas bei den bislang letzten Parlamentswahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten vor genau zehn Jahren hat der öffentlich-rechtliche Radiosender Deutschlandfunk (DLF) am Montag zum Anlass genommen, eine Art Porträt der islamistischen Terrororganisation zu zeichnen. Die ideologischen Grundlagen der Gotteskriegerbande vernachlässigt der frühere DLF-Nahostkorrespondenten Peter Philipp in seinem Beitrag allerdings weitgehend, stattdessen frönt er einem Positivismus, bei dem vieles äußerlich, oberflächlich und unverstanden bleibt. Deutlich wird das nicht zuletzt daran, dass Philipp den Judenhass der Hamas – der buchstäblich konstitutiv für sie ist – nur am Rande streift und ihn dabei nicht einmal beim Namen nennen will. „Gepaart mit einer fast antisemitischen Ideologie, die vermeintlich auf dem Koran basierte“, habe sich die Hamas „rasch zum gefährlichsten Gegner Israels“ entwickelt, sagt er. Schon früh habe sie damit begonnen, „palästinensische Kinder in Kinderprogrammen von Rundfunk und Fernsehen mit antiisraelischer und antijüdischer Propaganda zu indoktrinieren. Wobei kein Unterschied zwischen ‚Juden‘ und ‚Israelis‘ gemacht wurde.“

Nur „fast“ antisemitisch soll die Ideologie der Hamas also sein. Dabei hätte bereits das, was auf diese merkwürdige Einschränkung folgte – nämlich die Feststellung, dass sich die Feindschaft der Hamas gegen alle Juden richtet und keineswegs „nur“ gegen den jüdischen Staat und seine Bewohner –, ein hinreichender Grund dafür sein müssen, auf sie zu verzichten. Doch auch ansonsten lassen sich problemlos reichlich Belege für den Antisemitismus dieser Bande finden – theoretische wie praktische. Die gesamte, bis heute gültige Charta der Hamas etwa ist ein einziges antisemitisches Traktat, in dem judenfeindliche Passagen aus dem Koran mit Ideologemen aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ und Verschwörungstheorien aus dem Arsenal des Nationalsozialismus amalgamiert werden; hinzu kommen unzählige Zitate von Hamas-Führern, die den eliminatorischen Judenhass zeigen. (Der Theaterregisseur und Blogger Gerd Buurmann hat für beides etliche Beispiele zusammengetragen.) In Selbstmordattentaten, Raketenangriffen und anderen Terroranschlägen gegen Juden materialisiert sich der antisemitische Vernichtungswille schließlich.

 

„Die Araber sind nämlich selbst Semiten“

Dennoch wäre Philipps Hamas-Porträt nur ein beliebiger weiterer Beitrag zum Elend der deutschen Nahostberichterstattung gewesen, hätte der Deutschlandfunk nicht auf seiner Facebook-Seite nachgelegt und damit alles noch viel schlimmer gemacht. „Liebe Hörer, die Formulierung ‚fast antisemitisch‘ hat zu Protesten geführt, die wir verstehen können“, heißt es dort. In der „geläufigen Verwendung des Wortes ‚antisemitisch‘ im deutschen Sprachraum“ werde darunter „judenfeindlich“ verstanden. Das entspreche jedoch nicht der „ursprünglichen Bedeutung“ des Wortes:

„Die Araber sind nämlich selbst Semiten, daher können sie schwerlich antisemitisch sein. Das gilt auch für die Hamas. Wie sehr viele Araber sprechen aber auch die Hamas-Anhänger meist nicht von ‚den Israelis‘, sondern von ‚den Juden‘ (Al Yehud), denn es waren ja Juden, die als Zionisten nach Palästina kamen, dort siedelten und einen Staat gründeten. Dadurch wird die arabische Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber den Israelis sprachlich ‚fast‘ identisch mit dem Antisemitismus der Nazis. Aber eben nur ‚fast‘.“

Dass die Araber selbst Semiten seien und schon deshalb nicht antisemitisch sein könnten, wird sonst vor allem von jenen „Israelkritikern“ behauptet, die die Existenz eines arabischen Judenhasses rundweg bestreiten und fest davon überzeugt sind, dass sich die regionale Feindschaft gegenüber den Juden und ihrem Staat ausschließlich auf israelische Missetaten zurückführen lässt, auch bei der Hamas. Das ist aus mehreren Gründen ein besonders dummes Argument. Antisemitismus – so unscharf und vordergründig irreführend der Begriff auch sein mag – richtet sich bekanntlich seit jeher ausnahmslos gegen Juden (und wen die Antisemiten dafür halten); das Wort kam im späten 19. Jahrhundert auf und war, wie Gerd Buurmann richtig schreibt, „der pseudo-wissenschaftliche Versuch, dem alten religiösen Judenhass ein neues, modernes Gewand zu geben“. Der Terminus „semitisch“ wiederum wird lediglich in der Linguistik für eine Sprachfamilie verwendet, und wer von „Semiten“ spricht, bedient sich eines völkischen Vokabulars. Abgesehen davon können nicht nur Araber, sondern sogar Juden Antisemiten sein, wie es auch Frauen gibt, die Frauen hassen, und Migranten, die rassistisch sind.

 

Alles nur ein Missverständnis?

Kaum weniger befremdlich ist die Erklärung, die der DLF dafür anbietet, dass „sehr viele Araber“ inklusive der „Hamas-Anhänger“ meist „nicht von ‚den Israelis‘, sondern von ‚den Juden‘“ sprechen, obwohl sie doch eigentlich keine Antisemiten sein können: „Es waren ja Juden, die als Zionisten nach Palästina kamen, dort siedelten und einen Staat gründeten.“ Mit dieser atemberaubenden Rationalisierung des irrationalen judenfeindlichen Ressentiments wird die falsche Grundannahme noch einmal bekräftigt, weshalb der DLF abschließend konstatiert, die „arabische Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber den Israelis“ sei zwar „sprachlich ‚fast‘ identisch mit dem Antisemitismus der Nazis“. Aber „eben nur ‚fast‘.“ Und auch nur „sprachlich“, nicht etwa inhaltlich, also eigentlich gar nicht. Quod erat demonstrandum.

Am Dienstagabend – inzwischen hatten noch mehr Hörer gegen die Relativierungen des Antisemitismus der Hamas durch den DLF protestiert – stellte die Redaktion des Deutschlandfunks dem Beitrag von Peter Philipp schließlich eine Anmerkung voran. „Bei dem Wort ‚fast‘ bei ‚fast antisemitische Ideologie‘ war unser Autor auf einer wissenschaftlich-etymologischen Ebene, die Anlass zu Missverständnissen gegeben hat“, steht dort nun zu lesen. „Wir möchten daher klarstellen, dass auch der Deutschlandfunk keinen Zweifel daran hat, dass die Ideologie der Hamas gegen Juden gerichtet ist und insofern auch eindeutig antisemitisch ist.“ Nach der Klarstellung der Klarstellung des Beitrags ist nun also fast klar, dass Araber vielleicht doch Antisemiten sein können, außer auf einer „wissenschaftlich-etymologischen Ebene“, da stinkt die Hamas weiterhin gegen die Nazis ab, und im Übrigen ist das alles nur ein Missverständnis. Wie gut, dass der Staatsfunk das fast geklärt hätte.

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