Israelfeindschaft und Antisemitismus bei Hamas, Al-Qaida und dem Islamischen Staat – Teil 3

Hamas feiert den tödlichen Anschlag auf ein Synagoge in Jerusalem bei dem im November 2014, vier betende Juden ermordet wurden.

Von Michael Wyss

Diese Artikelreihe beruht auf einem überarbeiteten Referat, welches der Autor im Oktober 2016 auf Veranstaltungen an der Universität Innsbruck sowie des Jungen Forums DIG Frankfurt an der Goethe Universität in Frankfurt a. M. präsentierte. Der dritte Teil beschreibt die Entstehungsgeschichte der Hamas und analysiert ihre Israelfeindschaft und Antisemitismus. Der erste Teil erschien am 27. Dezember 2016, der zweite Teil am 2. Januar 2017.

Die Wurzeln der Hamas reichen Jahrzehnte zurück bis zu den Zeiten des britischen Mandats für Palästina vor der Staatsgründung Israels. 1935 besuchte Abdel Rahman Al-Banna – der Bruder von Muslimbruderschaft-Gründer Hassan Al-Banna – den für seine spätere Kollaboration mit dem Nazi-Regime berüchtigten Jerusalemer Mufti Hajj Amin Al-Husseini. Infolge des Treffens stimmte Hassan Al-Banna der Etablierung eines Zentralkomitees zur Unterstützung Palästinas zu, welches gegen die britische Präsenz protestierte und die palästinensischen Nationalbestrebungen unterstützte. Ab 1936 beteiligten sich Freiwillige der Muslimbruderschaft an der sogenannten „Arabischen Revolte“, die sich sowohl gegen jüdische als auch britische Interessen richtete. 1945 gründete Said Ramadan – der Vater von Tariq und Hani Ramadan und die zentrale Figur beim Aufbau des Muslimbruderschaft-Netzwerks im Westen – in Jerusalem eine Filiale der Muslimbruderschaft. Zwei Jahre später verfügte die Muslim Bruderschaft über 25 Zweigstellen im Mandatsgebiet und zwischen 12.000 bis 20.000 Mitglieder.

Von 1948 bis 1967 gab es keine einheitliche palästinensische Muslimbruderschaft, stattdessen wurden ihre Strukturen in Gaza in die ägyptische Mutterorganisation integriert und jene im Westjordanland in den jordanischen Ableger. Doch als Israel im Sechstagekrieg die Kontrolle über Gaza und das Westjordanland von Ägypten bzw. Jordanien zurückgewann, führte dies auch zu einer Wiedervereinigung der palästinensischen Muslimbruderschaft. Nach 1967 verstärkten die Muslimbrüder ihre Aktivitäten. Von israelischer Seite wurden die religiösen Aktivitäten zumindest toleriert, denn sie wurden als Gegenwicht zu den terroristischen Aktivitäten der Palästinensischen Befreiungsorganisation betrachtet.

Israel erlaubte Sheikh Ahmad Yassin, dem späteren Gründer der Hamas, die Etablierung des Mujamma al-Islami (Islamisches Zentrum) und gab diesem den Status einer wohltätigen Organisation. Israel hoffte, dass dadurch ein Gegengewicht zu den nominell säkularen palästinensischen Terrororganisationen geschaffen würde. Denn im Gegensatz zu PLO und PFLP waren die palästinensischen Muslimbrüder zu diesem Zeitpunkt nicht an einer gewalttätigen Konfrontation interessiert, sondern fokussierten sich auf die Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft.

Der Ausbruch der Intifada im Dezember 1987 stärkte allerdings eine radikale Fraktion der Muslimbruderschaft, welche den bewaffneten Kampf forderte. Kurze Zeit später gründete diese die Hamas. 1989 begann die Hamas ihre Attacken gegen Israel, als sie innert drei Monaten zwei israelische Soldaten entführte und tötete. Im gleichen Jahr verurteilte Israel den Hamas-Gründer Yassin zu einer lebenslangen Haftstrafe aufgrund der Ermordung palästinensischer „Kollaborateure“ (allerdings wurde er bereits 1997 freigelassen) und verbot die Terrororganisation. Ironischerweise gewann die Hamas durch das Verbot an Glaubwürdigkeit unter den Palästinensern, die der Organisation zuvor aufgrund der Tolerierung durch Israel misstraut hatten.

Nachdem im Dezember 1992 sechs israelische Soldaten durch palästinensische Terroristen ermordet wurden, ließ Ministerpräsident Yitzhak Rabin über 400 Mitglieder der Hamas sowie des Palästinensischen Islamischen Jihads (PIJ) in den von Israel kontrollierten Südlibanon deportieren. Dort knüpften die beiden Organisationen Kontakte mit der Hisbollah und deren Patron Iran. Die Unterstützung durch Hisbollah und Iran ermöglichte der Hamas, ihre militärischen Kapazitäten auszubauen. 1993 bildete Teheran gemäß ägyptischen Geheimdienstquellen 3.000 Hamas-Mitglieder im Sudan und im Iran militärisch aus. Gemäß der PLO verpflichtete sich der Iran zudem zu einer jährlichen Zuwendung von 30 Millionen US-Dollar an die Hamas. Als Israel den exilierten Hamas- und PIJ-Mitgliedern 1993 unter Druck der Weltöffentlichkeit und des Friedensprozesses die Rückkehr nach Israel erlaubte, war die Hamas wesentlich besser organisiert als noch ein Jahr zuvor.

Gemeinsam mit dem PIJ und anderen radikalen PLO-Fraktionen versuchte die Hamas, den Friedensprozess durch Terroranschläge zu torpedieren. Zugleich nutzte sie die 1990er Jahre, um ihre Strukturen weiter auszubauen und ihren Einfluss, insbesondere in Gaza, zu konsolidieren.

Der Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahr 2000 war der Beginn einer beispielslosen Kampagne von Selbstmordanschlägen in Israel. Hamas, PIJ und die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden der vermeintlich „moderaten“ Fatah begingen 40 Selbstmordanschläge im Jahr 2001 bzw. 47 in 2002. Die grosse Mehrheit dieser Attentate ging auf das Konto der Hamas.

Israel beantwortete die Terrorwelle mit gezielten Tötungen. 2004 schaltete es Hamasgründer Scheich Yassin aus und kurz darauf seinen Nachfolger, Abdelaziz Al-Rantisi, einen der Mitbegründer der Hamas. Zugleich forderte die Hamas die Fatah als Repräsentantin der Palästinenser immer stärker heraus und lieferte sich regelmäßig Gefechte mit ihr, insbesondere in Gaza. Der unilaterale Rückzug Israels aus dem Gazastreifen im Jahr 2005, wurde von vielen Palästinensern als Triumph der Hamas betrachtet und stärkte das Profil der Organisation weiter, die unmittelbar darauf mit dem Raketenbeschuss auf den Süden Israels begann. Mittlerweile fühlte sich die Hamas stark genug, um die Fatah und ihren neuen Anführer, Mahmud Abbas, der die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nach dem Tod von Yassir Arafat übernommen hatte, politisch herauszufordern.

Im Januar 2006 nahm die Hamas zum ersten Mal an den palästinensischen Legislativwahlen teil, gewann diese prompt und begann mit der Regierungsbildung. Wenige Monate später trat die Regierung bereits wieder zurück und Hamas und Fatah verkündeten die Bildung einer Einheitsregierung. Doch angesichts der gravierenderen Feindseligkeiten zwischen Hamas und Fatah sowie der Weigerung der ersteren, den Raketenbeschuss gegen Israel einzustellen, scheiterte auch diese. Im Juni 2007 übernahm die Hamas dann gewaltsam die Macht im Gazastreifen. Seit fast zehn Jahren ist sie de facto Alleinherrscherin in Gaza und bildet eine Parallelregierung zur PA im Westjordanland.

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Israelfeindschaft bei der Hamas

Der bewaffnete Kampf gegen Israel ist die raison d’être der Hamas. Bereits die Einleitung ihrer Charta, ihrem offiziellen Gründungsdokument, lässt keine Zweifel an ihrer Zielsetzung. Dort wird Hassan Al-Banna, der Gründer der Muslimbruderschaft zitiert: „Israel wird solange existieren, bis es vom Islam ausgelöscht wird, so wie der Islam zuvor Andere ausgelöscht hat.“ Damit stellt die Hamas auch gleich zu Beginn klar, dass es sich beim Kampf gegen Israel nicht einfach um einen territorialen Konflikt handelt, sondern um einen Krieg religiöser Natur. Wie im zweiten Teil dieser Artikelserie erwähnt, findet sich diese Denkweise bereits bei Rashid Rida, und sie bildet eine der Konstanten in der Geschichte des politischen Islam.

In Artikel 6 der Hamas-Charta heißt es: „Die Hamas strebt danach, das Banner des Islam über jedem Zentimeter Palästinas zu hissen“ und Artikel 11 beschreibt Palästina als „islamisches Waqf (heiliges Land nur für Muslime) bis zum Tag des Jüngsten Gerichts.“ Zudem wird der Kampf gegen Israel an mehreren Stellen als individuelle Pflicht eines jeden Moslems beschrieben. Hier bedient sich die Hamas der Idee von „Fard Ayn“, der individuellen Pflicht zum defensiven Jihad, die fest im Islam verankert ist. Dieses Konzept wurde in den 1980er Jahren insbesondere von Abdallah Azzam, einem Mitbegründer von Al-Qaida, popularisiert.

Die Charta ist zudem ein Musterbeispiel für die Verbindung von Da’wa (islamische Missionierung) mit dem bewaffneten Kampf. Artikel 16 betont die Bedeutung einer islamischen Erziehung mit Studium von Koran, Sunna und islamischer Geschichte, aber auch mit dem „des Feindes, seiner Stärken und Schwächen, seiner Verbündeten sowie seiner Kapazitäten.“ Artikel 17 und 18 widmen sich der Rolle der muslimischen Frau, die als Gebärerin der Männer für die Erziehung der nächsten Generationen verantwortlich sei. Der Feind hätte die Bedeutung ihrer Rolle ebenfalls erkannt und versuche deshalb, sie mit allen Mitteln vom Weg des Islam abzubringen. In Artikel 19 wiederum ist die Rede von islamischer Kunst, die sich von der vor-islamischen (jahili) Kunst unterscheide. Laut Hamas sind alle Formen von Kunst, egal ob Buch, Artikel, Predigt, Gedicht, Lied oder Theaterstück ein Mittel zur „ideologischen Mobilisierung.“

Angesichts dieser Passagen wird klar, dass der bewaffnete Kampf für die Hamas einhergeht mit einer umfassenden Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft, welche auf die „Befreiung des Vaterlands“ bzw. die Vernichtung Israels eingestimmt werden soll. Dabei handelt es sich nicht nur um graue Theorie. Die Hamas führt nicht nur regelmäßig Krieg gegen Israel, sondern erzieht die palästinensische Jugend gemäß ihrer Vorstellungen. In ihren Sommerlagern werden bereits Kinder auf den bewaffneten Kampf und den glorreichen Märtyrertod vorbereitet. Daneben führt die Hamas ihren Kampf auch auf der politischen Ebene, sowohl in der palästinensischen Arena als auch international, wo sie unter anderem in der Europäischen Union kontinuierliche Lobbyarbeit betreibt, zum Teil auch unter Mithilfe von Schweizer Politikern.

Obwohl Artikel 13 ihrer Charta verkündet, dass „sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen im Widerspruch zu den Prinzipien der Islamischen Widerstandsbewegung [stehen],“ behaupten Sympathisanten der Hamas regelmäßig, sie hätte ihrem ursprünglichen Ziel der Vernichtung Israels abgeschworen und sei bereit zu einem vollständigen Waffenstillstand auf Basis der Grenzen von 1967. Doch für jede vermeintliche Anerkennung Israels finden sich dutzende Aussagen von Hamas-Anführern, welche die Befreiung von „ganz Palästina“ ankündigen.

Antisemitismus bei der Hamas

Antisemitismus spielt eine entscheidende Rolle in der Ideologie der Hamas. Wie sich in der Charta der Hamas zeigt, speist sich ihre Judenfeindschaft aus unterschiedlichen Quellen. Einerseits übernimmt die Hamas die Topoi einer jüdischen Weltverschwörung, die auch im Vernichtungsantisemitismus der Nazis zu finden waren. Andererseits wird die Judenfeindschaft aber auch religiös begründet, beispielsweise unter Berufung auf die berüchtigte Gharqad-Hadith, die in Artikel 7 der Charta zitiert wird: „Die letzte Stunde wird nicht schlagen, bis die Muslime die Juden bekämpfen und töten, sodass die Juden sich hinter Steinen und Bäume verstecken. Die Steine oder Bäume sagen jedoch: O, Muslim! O, Diener Gottes, ein Jude versteckt sich hinter mir. Komm und töte ihn! Nur al-Gharqad nicht; denn er ist einer der Bäume der Juden. (berichtet von Muslim & al-Bukhari)“

Diese Hadith ist ein Klassiker in der Rhetorik jihadistischer Gruppierungen und findet sich auch bei Al-Qaida und dem Islamischen Staat. Die Hamas lässt in ihrer Charta zudem verlauten, dass „Israel, das Judentum und die Juden“ den Islam und die Muslime herausforderten (Art. 28) und dass „islamische Gruppen“ (d.h. Gruppen wie die Hamas, im Gegensatz zu „säkularen“ Organisationen) am besten geeignet seien für den Kampf gegen die „kriegstreibenden Juden“ (Art. 32). Damit steht die Hamas in der Tradition von islamistischen Vordenkern Rashid Rida, Al-Banna und Qutb, für die der israelisch-arabische Konflikt stets ein Krieg zwischen Islam und Judentum war, anstatt ein territorialer Konflikt.

Neben diesen religiösen Motiven finden sich in der Charta auch viele Elemente, die dem modernen europäischen Antisemitismus entnommen wurden. So behauptet die Hamas etwa, die „Zionisten“ hätten die Freimaurer, Rotarier und den Lions Club infiltriert und würden hinter der französischen Revolution, dem Kommunismus sowie den beiden Weltkriegen stecken. Der offensichtliche Bezug auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ wird in Artikel 32 explizit gemacht, wo es heißt, dass die Protokolle die „Pläne des Weltzionismus“ verkörpern würden.

Der Antisemitismus der Hamas beschränkt sich keineswegs auf ihre Charta. In einem Artikel in der Hamas-Zeitung al-Risala (21. August 2003) behauptete Hamas-Mitgründer Abdelaziz Al-Rantisi, der „falsche Holocaust“ sei die größte Lüge überhaupt, welche von den Zionisten erfunden wurde. Diese hätten Juden an die Nazis verraten, um die Juden einzuschüchtern und so zur Emigration nach Palästina zu zwingen. Al-Rantisi schreibt zudem, dass der Vergleich von Zionisten mit Nazis eine Beleidigung für die Nazis sei. Denn die Verbrechen der Nazis seien nur ein „kleiner Partikel verglichen mit dem Terror der Zionisten gegen das palästinensische Volk.“

Ein weiteres klassisches Motiv in der antisemitischen Rhetorik der Hamas ist die Behauptung, die Juden würden Christenblut für die Herstellung von Pessach-Matzot verwenden. Hamas-Sprecher Osama Hamdan stellte diese Behauptung im Juli 2014 auf und erklärte zudem, dies sei der Grund weshalb die Israelis insbesondere Kinder ins Visier nehmen würden – es sei in ihrer zionistischen Psyche verankert. Ebenfalls im Juli 2014 bekräftigte ein Hamas-Geistlicher, dass man „alle Juden vernichten“ werde.

Dieser eindeutigen Beweislage zum Trotz gibt es westliche Hamas-Sympathisanten, denen zufolge im heutigen politischen Programm der Organisation, „keine antisemitischen Polemiken, welcher Art auch immer, zu finden“ seien. Sie beziehen sich unter anderem auf eine Passage in der Hamas-Charta, die von einer „friedlichen Koexistenz“ von Christen, Muslimen und Juden spricht. Tatsächlich scheint die Hamas eine solche Position nicht vollständig auszuschließen und Politbürochef Khaled Meshaal verkündete etwa, Juden könnte als „geschützte Minderheit“ in einem muslimischen Staat leben. Allerdings bleibt fraglich, wie viel Bedeutung solchen vereinzelten Aussagen zugemessen werden kann. Zum einen ist die Hamas auch nach fast drei Jahrzehnten nicht von den antisemitischen Motiven ihrer Gründungscharta abgerückt. Zum anderen ist evident, dass eine „friedliche Koexistenz“ zwischen Muslimen, Christen und Juden für die Hamas nur nach der Zerstörung Israels denkbar ist.

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