„Das Land wird mit Druck, mit Drohungen und Erpressung geführt. Die Regierenden scheinen die frühe politische Geschichte der Türkei nicht zu kennen. Sie wissen nicht, dass die Fehler der Vergangenheit tiefe Traumata in der Gesellschaft ausgelöst haben. Sie wiederholen diese Fehler. Das wird dazu führen, dass sich die Wunden vertiefen und Ängste größer werden. An diesem Punkt steht die Türkei heute. Die Art, wie die Türkei geführt wird, versetzt heute die ganze zivilisierte Welt in Sorge. (…) Nach dem Putschversuch vom 15. Juli hat die Führung einen Gegenputsch begonnen. Er trifft die Intellektuellen, die Lehrer, die Autoren, die Künstler, die Medien des Landes. Sie haben den Putschversuch in eine Gelegenheit umgewandelt und eine Hexenjagd begonnen. Wir haben sicher eine Million zu Unrecht Beschuldigter, die ebenfalls Opfer des Putsches geworden sind. (…)
Wir haben keine Gewaltenteilung mehr. Das Recht, in erster Linie das Verfassungsgericht, ist suspendiert. Internationale Abmachungen wurden unter Vorbehalt gesetzt, zum Beispiel jener der Vereinten Nationen über die persönlichen und politischen Rechte. Hier hat die Türkei 13 Artikel unter Vorbehalt gesetzt. Etwa das Recht auf eine faire Anklage. Damit wird gesagt: Ich mache keine fairen Anklagen. Oder das Recht von Häftlingen auf eine humane Behandlung. Sie sagen damit: Wir können Festgenommene und Verhaftete foltern, wie wir wollen. Was soll man dazu noch sagen. Die ganze Welt sieht das. Natürlich ist das nicht einfach nur noch Druck. Die politische Führung benutzt die Justiz als Knebel. Das ganze Problem liegt in der Justiz. (…)Bei all diesen Entwicklungen geht es darum, die Türkei einem Mann gefügig zu machen. An jedem, der etwas Abweichendes sagt, etwas anderes denkt oder die Regierung kritisiert, wird Rache geübt.“ (Interview mit dem Vorsitzenden des sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP Kemal Kılıçdaroğlu: „Ich könnte der Nächste sein“)