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Europas Flüchtlingspolitik hat Markt für libysche Milizen geschaffen

Europas Flüchtlingspolitik hat Markt für libysche Milizen geschaffen„Da Europa sich nicht mehr auf einen Diktator wie Gaddafi verlassen kann, um die Migranten daran zu hindern, von der libyschen Küste abzulegen, sucht es nach neuen Partnern. Dazu gehören Milizen einzelner ethnischer Gruppen und Stämme, die nun größtenteils die De-facto-Behörden in dem Land stellen. Viele dieser Milizen sind nominell mit der von der UNO unterstützten Regierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj verbündet. Deren Kontrolle reicht aber kaum über den Parkplatz vor ihrem Hauptquartier im Herzen Tripolis’ hinaus. Offiziell unterstehen diese bewaffneten Gruppen der Autorität des Innenministeriums, doch in der Praxis folgen sie nur ihren eigenen Befehlen. Manche dieser Milizen profitierten vom Handel mit Migranten, sei es, indem sie Menschenschmugglern Schutz boten oder die Migranten selbst schmuggelten. Nun, da sie sich als potenzielle Partner Europas im Kampf gegen die illegale Migration in Stellung bringen, haben sie begonnen, Migrantenboote auf dem Mittelmeer abzufangen, geheime Migrantenunterkünfte zu überfallen, Massenverhaftungen in Einwanderer-Nachbarschaften vorzunehmen, und im ganzen Land Gefangenenlager einzurichten. Manche sind noch an illegalen Aktivitäten wie dem Treibstoffschmuggel, dem Drogenhandel und der Hehlerei beteiligt, doch setzen EU-finanzierte Agenturen die Ausbildung ihrer Fußsoldaten fort und unterstützen sie weiterhin materiell in der Hoffnung, eine professionelle Küstenwache aufbauen zu können, die gegen die Schmuggler durchgreifen könnte. (…)

Sobald die europäischen Spitzenpolitiker ihre gesamte Außenpolitik Libyen und weiten Teilen Afrikas gegenüber auf das Ziel der Eindämmung der Migration umgestellt hatten, erblickten viele der gleichen Milizen, die zuvor direkt am Migrantenschmuggel und Menschenhandel beteiligt waren, in der Internierung von Migranten eine neue Wachstumsbranche. In Dutzenden von Interviews in Libyen haben die Anführer von Milizen, Regierungsvertreter und Vertreter örtlicher NGOs alle den Begriff ‚business’ – meist auf Englisch statt auf Arabisch – benutzt, um zu erklären, warum so viele Milizen die Festnahme und Festsetzung von Migranten ihrem Dienstleistungsportfolio hinzugefügt haben. Milizen beeilen sich nun, sich gegenüber ihren europäischen Förderer gegenseitig auszustechen.

Viele der Männer, Frauen und Kinder, die nun im Schleppnetz des libyschen Durchgreifens gegen die Migration festsitzen, hatten gar nicht die Absicht, nach Europa zu gelangen. Manche hielten sich nicht einmal illegal in dem Land auf. Im Abu-Salim-Gefangenenlager in Tripolis, erzählten mir mehrere Migranten aus Mali und Niger, die bei einer Razzia in einer vornehmlich von Schwarzafrikanern bewohnten Nachbarschaft festgenommen wurden, sie hätten gültige Papiere gehabt und seien nach Libyen gekommen, um dort zu arbeiten. So hatten sie gar nicht das Ziel, nach Europa überzusetzen, befinden sich nun aber dennoch in der Internierungs- und Deportationsmaschinerie, die andere daran hindern soll, dorthin zu kommen. (…) Die Bereitschaft der Europäischen Union, sich mit Milizen einzulassen, die notdürftig als Regierungsagenturen getarnt sind, hat einen Markt für die Internierung, den Verkauf und die Misshandlung von Migranten geschaffen. Behördenvertretern und auswärtigen Experten zufolge erhöht sie zudem das Risiko, dass der Staat weiter zersplittert.“ (Peter Tinti: „Nearly There, but Never Further Away“)

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