Berliner Veranstaltung zum Gedenken an die jesidische Tragödie: Gedanken einer Teilnehmerin

Von Mizgin Saka

Am 3. August 2014 überfiel der Islamische Staat (IS) das hauptsächlich von Eziden bewohnte Gebiet Shingal und verübte dort ein Massaker. Tausende Männer wurden hingerichtet, Frauen und Kinder entführt und Hunderttausende zur Flucht gezwungen. Ein Völkermord, der trotz zahlreicher Beweise noch immer nicht als solcher anerkannt wird; die Ausrottung einer uralten religiösen Minderheit, die in keinem Staat in Sicherheit und Frieden existieren kann. Die Hilfsorganisation ,,Eziden Weltweit e. V.“ veranstaltete zu diesem Anlass am 3. August 2016 in Kooperation mit einigen anderen Vereinen einen Trauermarsch zum Gedenken an die tausenden Opfer des Massakers, der zugleich an die Überlebenden erinnern und die Befreiung der über 3.500 Frauen und Kinder fordern sollte, die sich nach mehr als zwei Jahren immer noch in IS-Gefangenschaft befinden.

Screenshot_2016-08-05-16-08-23-1Bereits am Vorabend des 3. August versammelten sich einige Mitglieder des Vereins am Brandenburger Tor und hielten dort eine Mahnwache ab. Es wurden Kerzen angezündet und Plakate mit Bildern von Opfern des Genozids auf dem Boden ausgebreitet. Im Laufe des Abends trafen immer mehr Menschen vor Ort ein und zeigten ihr Interesse, wollten informiert werden und boten ihre Hilfe an. Eine junge Italienerin hat die Menge besonders gerührt. Sie setzte sich mit ihrer Familie zu den anderen auf den Boden und fing plötzlich, wie aus dem nichts, an zu singen. Sie sang das weltbekannte Lied ,,Hallejulia“ mit einer Stimme, die alle zu Tränen gerührt hat. Auf die Frage was sie dazu bewegt hat, antwortete sie: ,,Ich kannte Euch vorher nicht, aber ich fühle mit Euch. Es tut mir vom Herzen leid, was Euch widerfahren ist und ich bete zu Gott, dass er Euch beisteht.“ Der Gesang dieser wunderschönen Seele hat diesen Moment für alle, die es erleben durften, unvergesslich gemacht.

Am nächsten Tag zogen etwa 2.000 Menschen im Rahmen eines Gedenkmarsches vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. Persönlichkeiten wie Nadia Murad (ehemalige IS-Gefangene und Menschenrechtsaktivistin), Heydar Şheşho (Oberkommandeur der Widerstandseinheit HPÊ), Düzen Tekkal (Journalistin und Menschenrechtlerin), Abu Shujja (ezidischer Held der für die Befreiung hunderter Frauen und Kinder verantwortlich ist), begleiteten den Zug, genauso wie Samira und Salwa, die ebenfalls ehemalige IS-Gefangene sind und sich nun als Aktivistinnen für die ezidische Sache engagieren.

 

Am Brandenburger Tor angekommen, wurde die Kundgebung von Berkat Isa, einem Mitglied des Vereins „Eziden Weltweit e. V.“ und IS-Vertriebenen, eröffnet. Neben einer Danksagung an die deutsche Bundesregierung, insbesondere an das Bundesland Baden-Württemberg, und einer Grußbotschaft an die zahlreichen Teilnehmenden, wurden folgende Forderungen an die Bundesregierung verlesen:

  • Einsatz für die Befreiung der etwa 3500 ezidischen Frauen und Kinder aus der IS-Gefangenschaft
  • ein schnelles Aufnahmeprogramm für Eziden und Christen aus dem Irak
  • vereinfachte und schnelle Familienzusammenführung bzw. Aufnahmeprogramm der in Griechenland gestrandeten 3.300 Eziden
  • unabhängige Koordinierung der Hilfslieferungen für Eziden und Christen in den Irak
  • Schaffung einer Schutzzone für alle Eziden und Christen, die in ihrer Heimat bleiben wollen
  • Anerkennung des Genozids an den Eziden und lückenlose Aufklärung durch eine internationale Untersuchungskommission
  • Verfolgung und Bestrafung aller am Genozid Beteiligten durch einen internationalen Gerichtshof

Es wurden Reden in deutscher, englischer und kurdischer Sprache abgehalten: Alle mit dem Ziel, auf die Opfer des Genozids aufmerksam zu machen. Und darauf hinzuweisen, dass er noch immer andauert. Es wurden viele Tränen vergossen, sowohl von Frauen als auch Männern, von alt und jung.

 

Und auch an diesem Tag geschah etwas sehr bewegendes. Samira, ein junges Mädchen von 19 Jahren, die 8 Monate lang in IS-Gefangenschaft war und mit dem Aufnahmeprogramm von Baden-Württemberg nach Deutschland kam, wurde bewusstlos. Samira lag steif auf dem Boden, rief nach ihrer Mutter und kam nur schwer wieder zu sich. Um Samira herum versammelte sich eine Menschenmasse, darunter auch Journalisten, die diese Situation filmten und Fotos schossen. Gut so, denn die Weltgemeinschaft soll sehen, wie es diesen Frauen und Kindern geht! Die Welt soll sehen, wie es einem jungen Mädchen ergeht, das im 21. Jahrhundert vor den Augen der Weltgemeinschaft als Sexsklavin verkauft und benutzt wurde! Sie soll sehen, dass dieser Genozid so lange noch nicht vorbei ist, ehe nicht alle Frauen und Kinder aus den Händen dieser Barbaren befreit wurden! Doch das ist noch nicht alles, denn selbst in einem Land wie Deutschland sind die Eziden nicht sicher vor religiös motivierten Übergriffen. Wir können den Frauen und Mädchen nicht garantieren, dass sie in diesem Land nicht auf ihre Peiniger treffen. Wir können diesen Menschen nicht garantieren, dass sie hier ihren Frieden finden und in Sicherheit leben können.

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