„Es gab diese Mär, die Menschen einander erzählten, um sich zu schütteln und dann mit gutem Gewissen Juden zu jagen, zu verjagen. Das war im Mittelalter. Das war die Mär von der jüdischen Brunnenvergiftung. Im Jetzt, genauer im vergangenen Jahr, wurde die Mär wieder erzählt. Das war im Europäischen Parlament.
Da sprach Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, und seine neue und alte Mär der Brunnenvergiftung ging so: ‚Eine Gruppe von Rabbinern in Israel hat ihre Regierung klar, sehr klar dazu aufgefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften.‘ Die, die ihm zuhörten, klatschten, und einer drückte darauf das Wort ‚inspiring‘ in sein Telefon rein, um es auf Twitter zu schicken. Das war Martin Schulz. Vielleicht war das ein Versehen. Was aber ist mit den anderen Versehen der Sozialdemokraten, die immer dann versehentlich geschehen, wenn es um Juden, um Israel geht? Davon erzählen die Ereignisse der vergangenen Wochen. (…)
Gute Deutsche werden bestimmt auch die Partei-Enkel Brandts. Trotz und wegen der vielen Versehen im Inspiring-Schulz-Stil. Denn das Bild des guten Deutschen, so wie das der großen moralischen und politischen Geste, hat sich verändert. Die zeitgenössische Form führte Frank-Walter Steinmeier vor. In Ramallah, wo sonst? Mai 2017. Der Himmel ist blassblau, der Präsident neigt seinen Kopf, die Hände liegen als andächtige Hände an seinem Körper. Als erster deutscher Präsident legt Steinmeier einen Kranz am Grab Jassir Arafats ab. (…)
Die westlichen Werte, die die israelischen Orientalen noch lernen müssen, die kennt die Fatah, das sagte die SPD ohne Versehen 2012. Nachdem eine Fatah-Delegation Andrea Nahles besucht hatte, veröffentlichte die SPD eine Erklärung. Da stand, dass die Parteien ‚gemeinsame Werte‘ hätten und ‚gemeinsame Ziele‘. Selbstverständlich gab es Kritik. Selbstverständlich antwortete auch Sigmar Gabriel, sagte, dass er die Kritik nicht verstehe. Da kannte er sich im Nahen Osten schon aus, hatte ein halbes Jahr vor dem Nahles-Fatah-Dialog Hebron besucht und über israelische Untaten auf Facebook geschrieben: ‚Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.‘ Der Gedanke an Südafrika, der sich mit dem Wort Apartheid in den Kopf bohrt, diesen Gedanken wollte Gabriel natürlich nicht wecken, das schrieb er später. Wieder so ein Versehen.“ (Anna Prizkau: „Vom Kniefall zu vielen Versehen“)