„Im geplanten Referendum der irakischen Kurden wird der ungelöste Konflikt zwischen Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil erkennbar. Das Referendum wurzelt im ‚Recht auf Selbstbestimmung‘ und in einem kurdischen Nationalismus, der sich im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) noch verstärkt hat. Zwar ist das Referendum rechtlich unverbindlich, aber die kurdische Regionalregierung wird versuchen, die Ergebnisse in Verhandlungen mit der irakischen Zentralregierung als Druckmittel zu benutzen. (…) Doch die kurdische Selbstbestimmung – und mit ihr die Volksabstimmung – ist nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen Erbil und Bagdad, sondern auch eine Streitfrage zwischen einzelnen kurdischen Fraktionen. Zum einen wollen die Kurden mehr Autonomie vom irakischen Staat. Zum anderen ringen einzelne kurdische Gruppierungen um Macht, Geld und Ressourcen. Der innerkurdische Wettstreit hat sich seit Ausbruch des Kampfes gegen den IS zugespitzt. Zudem stehen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihre Verbündeten sowie andere irakisch-kurdische Gruppierungen in Opposition zur Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter Leitung von Masoud Barzani. (…)
Das Referendum und seine Ergebnisse unterliegen einer internen kurdischen Dynamik. Daran zeigt sich, dass die Auseinandersetzungen unter den Kurden wohlmöglich mehr Einfluss auf deren Selbstbestimmung haben als Spannungen zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Regierung in Bagdad. Sogar ein mehrheitliches ‚Ja‘ im Referendum wird ohne politische und finanzielle Reformen der Regionalregierung die Stabilität in der Autonomen Region Kurdistan und in den umstrittenen Gebieten gefährden. (…) Wer ein solches Dilemma vermeiden will, darf sich nicht hinter das kurdische Referendum stellen, sondern sollte vielmehr die Institutionen des irakischen Staates stärken, ein irakisches nationalistisches Narrativ fördern, das weniger ethnisch geprägt ist, und eine Dezentralisierung der politischen Macht im Irak unterstützen, bei der die Autonome Region Kurdistan Teil eines föderativen Gebildes ist. Die Unterstützung der kurdischen Regionalregierung sollte weiterhin vom Status der Region als integralem Bestandteil des irakischen Staates abhängen, wobei diese Unterstützung über Bagdad erfolgen sollte. Neutrale Dritte könnten bei der Aufteilung von Macht, Ressourcen und Geldern zwischen Bagdad und Erbil vermitteln – auch in den umstrittenen Provinzen und Gebieten.“ (Denise Natali: „Gefährliche Rivalitäten“)