„Als Sigmund Freud im Jahr 1930 sein epochales Werk ‚Das Unbehagen in der Kultur‘ veröffentlichte, wies er darin u. a. auf, wie Religionen den Kulturmenschen in ein unerträgliches Unbehagen bringen können. Freud bezog sich damals auf die christliche und die jüdische Religion. Mit dem Islam hat er sich nicht auseinandergesetzt.
Nun hat fast ein Jahrhundert später einer seiner Nachfolger dies nachgeholt. Fethi Benslama ist prädestiniert für dieses Thema: Er ist Muslim und stammt aus Tunesien, lebt seit Jahrzehnten in Paris und ist dort an der angesehenen Universität Paris Diderot Professor für Psychoanalyse. Er hat Jahrzehnte in einem Pariser Präventionszentrum mit radikalisierten jugendlichen Muslimen gearbeitet und hat dadurch ein sehr fundiertes Insiderwissen. (…)
Armut und prekäre Verhältnisse seien nur für einen Teil der Jugendlichen ein Problem, denn 60 Prozent der radikalisierten muslimischen Jugendlichen stammen nach Benslama aus der Mittelschicht und 10 Prozent aus der Oberschicht. Die gefährdeten Jugendlichen seien ‚dreifach entwurzelt‘. Sie verloren ihre familiären Wurzeln, sind gesellschaftlich entwurzelt und fühlen sich auch geopolitisch als Muslime entwurzelt. (…)
Die meisten Muslime haben nach Benslama das Selbstkonzept eines ‚stolzen Muslim‘. Durch die oben beschriebene Entwurzelung geraten die Jugendlichen in eine Orientierungs- und Sinnkrise und suchen nach einem Ausweg aus ihrer Notlage.
Hier kommt der radikale Islamismus als große Verlockung ins Spiel. Er gibt den Jugendlichen genau das was ihnen fehlt: Sinn, Orientierung, Halt und eine Zukunftsperspektive, die fatalerweise auch im Märtyrertod bestehen kann.“ (Herbert Csef: „Das Unbehagen in der muslimischen Kultur“)