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Das Huhn töten, um die Affen zu erschrecken

Gastbeitrg von Netra Ja

orumieh-prisonIm Frühjahr 2014 besuchte Saber Sheikh Abdullah, der zu diesem Zeitpunkt an der renommierten Teheraner Alameh Tabataba’i Universität studierte, seine Familie in Mahabad, der Haupstadt der mehrheitlich kurdisch besiedelten iranischen Provinz West-Aserbaidschan, um gemeinsam Nouruz (persisches Neujahr) zu feiern. Wenige Tage nach seinem Eintreffen in Mahabad wurde Sheikh Abdullah am 15. März 2014 auf offener Straße verhaftet und in das Gefängnis in Urmia gebracht. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, welche Anschuldigungen gegen ihn später erhoben werden und welche Torturen ihm bevorstehen würden. Für zwei Monate war Sheikh Abdullah verschwunden.

Am 18. Mai 2014, demselben Tag, an dem im Iran zwölf kurdische Häftlinge hingerichtet wurden, verbreiteten die iranischen Medien, dass Sheikh Abdullah und zwei weitere verhaftete iranische Kurden, Diako Rasoulzadeh und Hossein Osmani, im Jahr 2010 für ein Bombenattentat auf eine Militärparade zum 30. Jahrestag des Beginns des ersten Golfkrieges in Mahabad verantwortlich gewesen seien. Sheikh Abdullah und Rasoulzadeh gestanden unter Folter ihre Tatbeteiligung.

Das Attentat in Mahabad am 30. Jahrestag des Beginns des ersten Golfkrieges tötete zwölf Menschen und verletzte mindestens 35 weitere. Schon wenige Tage nach dem Attentat, am 24. September 2010, identifizierten Vertreter der iranischen Regierung und der Revolutionsgarden die flüchtigen Attentäter als Unterstützer des Mossads, Handlanger der USA, irakische Baathisten und andere „Konterrevolutionäre“. Infolgedessen wurden in der irakischen Grenzregion 30 angebliche Terroristen getötet und mehrere Personen als Unterstützer Israels festgenommen. Offensichtlich diente der Anschlag schon 2010 dem Regime als Legitimation für brutale Willkürmaßnahmen gegen politische Gegner.

Die Festnahmen dreieinhalb Jahre später, von drei Personen, die an unterschiedlichen Orten wohnten und sich teilweise noch nicht einmal untereinander kannten, muten da fast noch grotesker an. Aber auch hier handelt es sich um eine der favorisierten Strategien des iranischen Terrorregimes, nämlich den Terrorismusvorwurf. Abgesehen von kleinen Teilen des Studentenmilieus in Teheran wirkt dieser bereits wie ein Bannspruch. Aus Angst verleugnen ehemalige Freunde oder Bekannte, die Beschuldigten zu kennen. Unter diesen Bedingungen erscheint Unterstützung der Beschuldigten im Iran aussichtslos, da jeder, der auch nur ihre Namen erwähnt, geschweige denn sich für diese einsetzt, selbst bereits als verdächtig gilt. Es ist nicht entscheidend, ob die Verhafteten vorher selbst politisch aktiv gewesen oder sonst irgendwie von den Moralvorstellungen der Islamischen Republik abgewichen sind. An die Iraner, welche das aus gutem Grund tun, senden diese Willkürmaßnahmen der Staatsgewalt eine unmissverständliche Botschaft: „Spur oder stirb!“

Im August berichteten iranische Medien erneut über den Fall. Demnach wurden jetzt zwei weitere iranische Kurden des Attentats bezichtigt. Beide waren bereits ein Jahr vorher aus dem Iran geflohen. Weiterhin wurde behauptet, dass die Beschuldigten im Irak von der linken iranisch-kurdischen Partei „Komelah“ ausgebildet worden seien, bevor sie den Anschlag verübt hätten. Ebenfalls im August 2014 erschienen Sheikh Abdullah und Rasoulzadeh im Staatsfernsehen PressTV. In der Sendung wurden die beiden durch Mahabad geführt, damit sie ihre Tatbeteiligung öffentlich eingestehen und dem Publikum den angeblichen Ablauf des Anschlags zu demonstrieren könnten. Da in iranischen Gefängnissen, besonders bei politischen Gefangenen, Folter die Regel ist, sind Gefangene im Iran oft Spielball ihrer Wärter, sprich des Regimes. Regelmäßig erscheinen in den iranischen Medien gefolterte Gefangene, die die absurdesten und inkonsistentesten Verschwörungstheorien gestehen und sich selber Verbrechen bezichtigen, die vor ihnen schon andere unter Folter gestanden haben und oft genug mit dem Tod bezahlen mussten. Der dritte Gefangene, Hossein Omani, weigerte sich trotz der erlittenen Folter, an der Inszenierung des Regimes mitzuwirken.

Anfang März 2015 – die Gefangenen hatten seitdem keine oder nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Angehörigen zu kontaktieren – begann der Prozess. Keiner der Angeklagten konnte sich rechtlich vertreten lassen. Die Anklage forderte für alle drei die Todesstrafe. Osmani protestierte vor Gericht und wies auf die Folter hin, die ihnen angetan worden war, indem er sein T-Shirt hochzog und dem Saale seine Narben und Wunden präsentierte. Dennoch verurteilte der für seine Härte bekannte Richter, Ahmad Jawadikia, alle drei am 7. April 2015 zum Tode. Rasoulzadeh und Sheikh Abdullah unterzeichneten dieses Urteil. Osmani hat dies bis jetzt noch nicht getan, was zumindest formal ein Vollstreckungshindernis darstellen sollte. Ob dies die Islamische Republik interessiert, scheint allerdings mehr als fraglich.

Seit über zweieinhalb Jahren leben die drei Beschuldigten und ihre Angehörigen nun in Angst. Der Tag der Exekution ist unbekannt. Immer wieder verbreiten sich Gerüchte über Hinrichtungstermine oder angeblich vollzogene Scheinhinrichtungen, welche Angehörige, Freunde und Sympathisanten erneut einschüchtern. Um den Häftlingen jeglichen Kontakt nach außen zu verwehren, befinden sie sich auch nicht im Bereich für politische Gefangene. Denn, so widersinnig es scheinen mag, hier besteht innerhalb der Haftanstalten der regste Kontakt nach außen und ins Ausland. Diese Mischung aus Tabuisierung, Kontaktsperre und Propaganda führt zu einem Grad an Desinformation, der es auch solidarischen Beobachtern schwer möglich macht, alle Details nachzuvollziehen. Dies benutzt das Regime wiederum dazu, Kritik als uninformierte Einmischung zu delegitimieren.

Währenddessen werden die drei Verurteilten vermutlich ihre letzten verbliebenen Tage, auf verschiedene Abteilungen verteilt, gepeinigt und in Angst im Gefängnis in Urmia erleben müssen. Auch wenn es hoffnungslos erscheint, bleibt zu fordern: Freiheit für Hossein Osmani, Diako Rasoulzadeh und Saber Sheikh Abdullah! Nieder mit der Islamischen Republik!

Artikel zuerst erschienen auf Jungle Blog.

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